Außergewöhnliche Geschichten

Vor allem der amerikanische B-Movie-Regisseur und Produzent Roger Corman machte sich Anfang der 60er Jahre darum verdient, die unheimlichen Kurzgeschichten von Edgar Allan Poe (1809-1849) – meist mit Vincent Price in der Hauptrolle – stimmungsvoll zu verfilmen und somit Poe eine späte Anerkennung zukommen zu lassen, die er zu Lebzeiten nie erfahren durfte. Nachdem Corman mit „Der Untergang des Hauses Usher“ (1960), „Das Pendel des Todes“ (1961), „Lebendig begraben“ (1962), „Der Rabe“ (1962), „Die Maske des roten Todes“ und „Das Grab der Lygeia“ (beide 1964) einige der bekanntesten Poe-Geschichten für die Leinwand adaptiert hatte, versuchten sich 1968 auch drei große Regisseure des europäischen Kinos daran, Poe ihre Referenz zu erweisen.
In der französisch-italienischen Co-Produktion „Außergewöhnliche Geschichten“, die in der vorbildlichen Koch-Reihe „Masterpieces of Cinema“ erstmals auf Blu-ray erscheint, haben sich die drei Meisterregisseure Roger Vadim, Louis Malle und Federico Fellini jeweils eine eher unbekannte Arbeit aus Poes Schaffen ausgesucht, um sie auf Zelluloid zu bannen.
In der von Roger Vadim („Barbarella“, „… und ewig lockt das Weib“) adaptierten Geschichte „Metzengerstein“ erbt die 22-jährige Gräfin Federica (Jane Fonda) den prächtigen Grundbesitz von Metzengerstein und verbringt ihr sorgenloses wie sinnfreies Leben damit, ausschweifende Feste zu feiern und ihren oft grausamen Gelüsten freien Lauf zu lassen. Als sie bei einem Ausritt in den Wald in eine Tierfalle gerät und von dem schweigsamen Nachbarn Baron Wilhelm (Peter Fonda) befreit wird, ist sie fasziniert von dem wortkargen Mann, der sich so gar nicht um die attraktive Gräfin schert. Sein ablehnendes Verhalten kommt dem Baron allerdings teuer zu stehen.
Louis Malle („Fahrstuhl zum Schafott“, „Verhängnis“) lässt in „William Wilson“ den gleichnamigen Titelhelden (Alain Delon) als Soldaten eine Beichte ablegen. Nachdem er einen Soldaten der eigenen Truppe umgebracht hat, eilt Wilson in eine Kirche und zwingt den dortigen Priester zur Abnahme seiner Beichte. Darin erzählt der Mörder, wie er schon als Kind zu grausamen Scherzen neigte, bis er in einem gleichnamigen Schulkameraden einen ebenso verhassten wie faszinierenden Verbündeten traf. Fortan kreuzten sich immer mal wieder die Wege der beiden Wilsons, bis es zur tödlichen Tragödie kommt.
Während die beiden französischen Filmemacher ihre Geschichten in der Zeit ansiedelten, die Poe in seinen literarischen Vorlagen vorgesehen hatte, ging der italienische Meisterregisseur Federico Fellini („Das süße Leben“, „8 ½“) etwas freier bei der Umsetzung von „Toby Dammit“ um. Er erzählt die Geschichte des früheren Shakespeare-Darstellers Toby Dammit (Terence Stamp), der eher widerwillig ein Angebot für einen Film annimmt, für den er mit einem Ferrari bezahlt wird. Der alkoholsüchtige Dammit fährt sich in dem Wagen in einen tödlichen Rausch.
Den jeweils 40-minütigen Episoden ist vor allem eins gemeinsam: der durchweg verdorbene Charakter der Hauptfiguren, die ihre innere Leere durch ein exzessives Leben und Grausamkeit auszufüllen versuchen. Dabei nähert sich allein Vadim den stimmungsvollen Corman-Adaptionen an, während Malle einen eher nüchternen Ton trifft und Fellini geschickt mit Farben und surrealen Ideen spielt. Die drei großen Filmemacher erzählen dabei tatsächliche „außergewöhnliche Geschichten“, doch an die herrlich schaurigen Corman-Produktionen kommt das europäische Pendant lange nicht heran. Trotzdem ist es wunderbar anzusehen, wie damals noch recht junge Stars wie Jane Fonda, Peter Fonda, Alain Delon und Terence Stamp in den unheimlichen Fingerübungen renommierter Regisseure agieren.
"Außergewöhnliche Geschichten" in der IMDb

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