Die bitteren Tränen der Petra von Kant

Dass Rainer Werner Fassbinder als Autodidakt zunächst mit dem Action-Theater, dann mit dem antiteater Erfahrungen auf der Bühne sammelte, merkt man vor allem seinen frühen Filmen an. So wie „Katzelmacher“, „Der amerikanische Soldat“, „Das Kaffeehaus“ und „Bremer Freiheit“ ist auch sein 1972 inszenierter Film „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ nach einem seiner eigenen Theaterstücke entstanden und ist als Kammerspiel in einem Raum mit sehr reduziertem Figurenarsenal umgesetzt worden.

Inhalt:

Die erfolgreiche Bremer Modedesignerin Petra von Kant (Margit Carstensen) bekommt Besuch von ihrer alten Freundin Sidonie von Grasenabb (Katrin Schaake), die sich darüber unterhalten, wie die Trennung zwischen Petra und ihrem zweiten Mann Frank verlaufen ist. Nach Petra von Kants Darstellung wurde Frank durch den Erfolg seiner Frau so eifersüchtig, dass er seine Gefühle der Ohnmacht in der Sexualität durch Macht zu kompensieren versucht habe, bis sich Petra nur noch vor ihm ekelte und die Scheidung einreichte. Petras Sekretärin und Co-Designerin Marlene (Irm Hermann) hört sich die Erzählung wie auch alles andere, was sich in der Dachgeschosswohnung abspielt, kommentarlos an und erfüllt ihrer Chefin klaglos jeden noch so erniedrigenden Wunsch. Das selbstherrliche und arrogante Auftreten der Designerin ändert sich allerdings, als sie von der 23-jährigen Karin Thimm (Hanna Schygulla) aufgesucht wird, die gerade aus Australien nach Deutschland gekommen ist, um sich den Traum von einer Modelkarriere zu erfüllen. 
Petra von Kant verfällt der über zehn Jahre jüngeren Frau augenblicklich und drängt sie dazu, bei ihr einzuziehen. Karin nimmt die Einladung dankend an, vor allem den Luxus und die Muße, die ihr das Leben mit ihrer wohlhabenden Geliebten bietet, aber sie nutzt ihre Freiheit auch, um beispielsweise die Nacht mit einem Schwarzen zu verbringen und ihrer „Geliebten“ von dessen Händen, Schwanz und Lippen vorzuschwärmen. Als ihr Mann nach Europa kommt, will Karin zu ihm zurückkehren, was von Kant zu hysterischen Reaktionen hinreißen lässt. Sie beschimpft ihre Geliebte als „kleine, miese Hure“, beteuert aber gleichzeitig ihre tiefe Zuneigung und Liebe, lässt ihr aber schließlich einen Flug nach Frankfurt reservieren und händigt ihr tausend Mark aus.
Nachdem Karin ausgezogen ist, tröstet sich Petra von Kant mit Alkohol über den Verlust hinweg. An ihrem Geburtstag erhält sie Besuch von Sidonie, ihrer Mutter (Gisela Fackeldey) und ihrer Tochter Gabriele (Eva Mattes)…

Kritik:

Vordergründig mag „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ ein Film über lesbische Liebe sein, doch um Liebe geht es letztlich nicht. Die erfolgreiche Modedesignerin Petra von Kant ist vor allem einsam, hat zwei Männer verloren – den einen durch einen Autounfall, den anderen nach unüberbrückbaren Differenzen und verschobene Machtverhältnisse – und lebt ihre Macht wiederum gnadenlos gegenüber der ihr hörigen Marlene aus. Als die junge Karin in ihr Leben tritt, treffen zwei Welten aufeinander, Jung auf Alt, Arm auf Reich, Proletariat auf Bürgertum. Petra von Kant nutzt ihren Reichtum, um die 23-jährige Karin an sich zu binden, und das angehende Mannequin dankt es ihrer Gönnerin mit gerade so viel Zuneigung, dass Petra von Kant bei Laune bleibt. Doch ganz verbiegen lassen sich weder die Eine noch die Andere, und so reiben sich Petra und Karin in ihren unterschiedlichen Lebenswelten und Ansichten aneinander, bis es zum Eklat kommt. Fassbinder macht einmal mehr die Schranken in der Gesellschaft und die Unerbittlichkeit der angestammten Machtverhältnisse deutlich. Die hier drastisch auf engstem Raum thematisierte Amour fou lebt von Margit Carstensens sehr physischer Darstellung und der präzisen Aufdeckung der Mechanismen von Macht, Anpassung und Abhängigkeit. François Ozon zollte im Jahr 2022 mit „Peter von Kant“ Fassbinders Theaterstück und Film seinen Respekt.

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