Satansbraten
Obwohl Rainer Werner Fassbinder eher zur linken
Kulturszene gezählt werden durfte, setzte er sich doch immer wieder kritisch –
vor allem in Filmen wie „Warnung vor einer heiligen Nutte” (1971) und „Mutter
Küsters‘ Fahrt zum Himmel” (1975) – mit Konflikten in Kollektiven und in
der Linken auseinander, was ihm seine ideologisch angetrauten Jünger durchaus übelnahmen.
Doch den Vogel schoss Fassbinder mit der überdrehten Groteske „Satansbraten“
ab, die die vermeintlichen Errungenschaften der 1968er Revolution ad absurdum
führte.
Inhalt:
Der Poet Walter Kranz (Kurt Raab) war während der revolutionären
Atmosphäre der 1968er Jahre als „Dichter der Revolution“ das Aushängeschild der
linken Polit- und Kulturszene, doch seit zwei Jahren leidet Kranz, der mit
seiner ewig nörgelnden Gattin Luise (Helen Vita) und seinem grenzdebilen,
sich vornehmlich um seine Fliegen kümmernden Bruder Ernst (Volker Spengler)
zusammenlebt, unter einer Schreibblockade. Die 32.500 DM Vorschuss, die Kranz
von seinem Verleger Eugen (Peter Chatel) erhalten hat, sind längst
verbraucht. Was seine poetische Schaffenskraft vermissen lässt, agiert Kranz in
wüsten Sex-Eskapaden aus. Während er seine Frau seit 17 Wochen nicht mehr
berührt hat, vögelt sich Kranz munter durch die Gegend. Dabei ist die ihm
hörige Andrée (Margit Carstensen) ebenso zu Willen wie die verheiratete
Lisa (Ingrid Caven) oder die Hobby-Prostituierte Lana von Meyerbeer (Y
Sa Lo), die die Montage-Tätigkeit ihres Mannes nutzt, um sich mit bezahlten
Liebesdiensten etwas Taschengeld hinzuzuverdienen.
Als Kranz schließlich nach langer Zeit wieder einmal etwas
zu Papier bringt, findet ausgerechnet seine Frau heraus, dass die Zeilen aus
der Feder Stefan Georges entstammen, jenes berühmten Lyrikers
(1868-1933), der der Linken nicht gerade nahestand. Das erschüttert Kranz
jedoch nur kurz. Der Überlebenskünstler nutzt das Momentum, gibt sich fortan
als Nachfolger des Dichters aus und wurstelt sich irgendwie durchs Leben, nachdem
er anfänglich sogar seine Geliebte Irmgart von Witzleben (Katharine
Buchhammer) kaltblütig um die Ecke gebracht hat. So erhält Kranz nicht nur
immer wieder Besuch von begeisterten Fans, sondern auch von Kommissar Lauf (Ulli
Lommel), der verzweifelt nach der Tatwaffe sucht, die Kranz einfach seinem Bruder
übergeben hat…
Kritik:
Das einstige Sprachrohr der Linken macht eine radikale
Kehrwendung durch. Dem „Dichter der Revolution“ fällt nichts mehr ein, er ist
pleite, doch als Kranz die Chance sieht, sich als Nachfolger des
erzreaktionären Dichters Stefan George wieder neue Schaffenskraft zu
entfalten, eine treue Anhängerschaft zu rekrutieren und leichter an Geld zu
kommen, ist es ihm herzlich egal, welche politische Position er vertritt. Er
sieht sich nach wie vor als starker Wortführer, dem die Massen und vor allem
die Frauen willig folgen. Er nimmt weder auf seine zunehmend (sterbens-)kranke Frau
noch auf die Gefühle der Menschen Rücksicht, die ihn abgöttisch verehren. Fassbinder
war wütend über die 1968er, die auch Mitte der 1970er nach wie vor ihren Idealen
nachhingen, ohne etwas verändert oder verstanden zu haben. Diesem Unvermögen
hat der Autorenfilmer mit „Satansbraten“ den Spiegel vorgehalten, indem
er seinen von Kurt Raab herrlich überdreht gespielten Protagonisten selbstverherrlichend
durch die Betten kreisen lässt, einfach nur auf Geld und die Befriedigung
seiner stumpfen Gelüste aus ist, sich nichts aus den Bedürfnissen seiner
Mitmenschen macht und skrupellos auf ihren Gefühlen herumtrampelt, sie schamlos
für seine Zwecke ausnutzt. Das ist in dieser laut kreischenden Darstellung natürlich
ein Affront gegen die Linken, aber auch gegen den elitären Kulturbetrieb im
Ganzen. Selten hat man die Zusammenhänge zwischen Sex, Geld und Macht so
drastisch inszeniert gesehen wie in „Satansbraten“.
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