Bremer Freiheit

Das Unbehagen gegenüber dem Bürgertum trieb Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) seit jeher um, auch in seinem sechzehnten Bühnenstück „Bremer Freiheit“, das 1971 am Schauspielhaus Bremen vom Bremer Ensemble uraufgeführt wurde und dann von Fassbinder selbst 1972 mit Mitgliedern des antiteaters als „Bremer Freiheit: Frau Geesche Gottfried - Ein bürgerliches Trauerspiel“ verfilmt worden ist.

Inhalt:

Geesche Gottfried (Margit Carstensen) gilt unter ihren Bremer Mitbürgern als ehrbare und gottesfürchtige Frau, die ihrem halbseitig im Gesicht verunstalteten Mann Miltenberger (Ulli Lommel) nicht nur zwei Kinder geschenkt hat, sondern ihn auch von vorn bis hinten bedient, ohne dass es ihr gedankt wird. Schließlich vergiftet sie ihn, sehnt sie sich doch nach einer liebevollen Ehe und ist glücklich, als der von ihr geliebte Gottfried (Wolfgang Schenck) die Geschäfte ihrer Sattlerei übernimmt und Pläne hat, mit einem zweiten Sattler den Gewinn noch zu vergrößern. Die trauscheinlose Beziehung zieht jedoch den Zorn von Geesches gottesfürchtiger Mutter (Fassbinders Mutter Lilo Pempeit) auf sich, weshalb auch sie den Tod durch Gift erleiden muss.
Die beiden Kinder aus erster Ehe werden vergiftet, weil Gottfried sagt, er könne sich kein Kind mit ihr vorstellen, das zwischen den Kindern eines anderen aufwächst. Ohnehin will er sich lieber eine jüngere, nicht so kopflastige Frau nehmen, die einfach nur lieb und fleißig ist. Als Geesche von Gottfried schwanger ist und sich die Heirat wünscht, bekommt sie nur Demütigungen zur Antwort. Verzweifelt gibt sie auch ihm Gift – ringt aber dem Sterbenden aber vor dem eilig hinzugeholten Pastor Markus (Walter Sedlmayr) noch das gewünschte Jawort ab.
Danach folgt ein Mord auf den anderen: Der Vater (Wolfgang Kieling) muss dran glauben, weil er Geesche den Neffen Bohm (Rudolf Waldemar Brem) zum Geschäftsführer und Ehemann aufzwingen will; ihr alter Freund Zimmermann (Kurt Raab), als er eine Schenkung über 20.000 Taler von ihr zurück verlangt; ihr aus dem Krieg zurückgekehrter und versehrter Bruder Johann (Fritz Schediwy), weil er ihr die Geschäftsführung entreißen und sie zurück in die Hausfrauenrolle zwingen will; ihre Freundin Luisa (Hanna Schygulla), als Geesche zufrieden von ihrer Freiheit schwärmt, und Luisa Geesches Leben verständnislos als Hölle bezeichnet…

Kritik:

Fassbinder hat „Bremer Freiheit“ nach einem authentischen Fall der Gesche Gottfried geschrieben und inszeniert, die im Jahr 1831 wegen fünfzehnfachen Mordes, begangen an ihren Eltern, Kindern, Ehemännern und anderen Personen, öffentlich hingerichtet worden ist. Er zeichnet das Portrait einer selbstbewussten Frau, die von ihrer Umwelt dafür verurteilt wird, eigenständig zu denken, zu leben und zu lieben, ohne Rücksicht auf die Erwartungen, die die Gesellschaft, Familie und Freunde ihr gegenüber hegen. Dabei fokussiert sich Fassbinder ganz auf die Giftmörderin und ihr soziales Umfeld, reiht die Morde von immer derselben Pianomusik untermalt unprätentiös aneinander, wobei denen Opfer kaum eine Träne nachgeweint werden dürften, stehen sie doch allesamt für eine überkommene Ordnung, in der die Frau klaglos den Platz einzunehmen hat, der ihr zugewiesen wird. Nicht umsonst werden zu Anfang nur Geesches hin und her laufenden Beine im Bild gezeigt, die ihrem fordernden Mann Kaffee und Schnaps und noch mehr Kaffee zu bringen hat. Margit Carstensen überzeugt als von den Erwartungen ihrer Umwelt erdrückte Frau, die sich nur durch Mord ihrer Last entledigen kann, und dafür einen bitteren Preis zahlen muss.

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