Mutter Küsters‘ Fahrt zum Himmel

Bereits in dem 1970 realisierten, wenngleich überwiegend von Michael Fengler inszenierten Drama „Warum läuft Herr R. Amok?“ hat Rainer Werner Fassbinder den gewalttätigen Widerstand eines unauffällig wirkenden Bürgers gegen für ihn unzumutbare Zustände in der Gesellschaft thematisiert. Mit „Mutter Küsters‘ Fahrt zum Himmel“ (1975) geht er in der Thematisierung des Widerstands noch ein Stück weiter.

Inhalt:

Ein Arbeiter erschießt wegen der Ankündigung von Massenentlassungen seinen Personalchef, dann sich selbst. Seine Frau, Mutter Küsters (Brigitte Mira), steht der Katastrophe hilflos gegenüber. Ihr Sohn Ernst (Armin Meier) und dessen schwangere Frau Helene (Irm Hermann) wollen in der Öffentlichkeit nicht mit dem „Fabrikmörder“ in Verbindung gebracht werden, fahren noch vor der Beisetzung in den lang geplanten Urlaub nach Norwegen und ziehen nach ihrer Rückkehr aus der Wohnung aus. Mutter Küsters‘ Tochter auswärts als Nachtclub-Sängerin arbeitende Corinna (Ingrid Caven), kehrt zwar zur vermeintlichen Unterstützung ihrer Mutter nach Hause zurück, nutzt die unerwartete Publizität allerdings schamlos für ihre Karriere aus. So lässt sie sich auf eine Affäre mit dem Fotoreporter Niemeyer (Gottfried John) ein, der zusammen mit anderen Boulevard-Journalisten die Küsters-Familie zu Interviews aufgesucht hat. Erschüttert über den verleumderischen Artikel in der Zeitung, erhält Mutter Küster nur durch den wohlhabenden Salon- und Parteikommunisten Karl Thälmann (Karlheinz Böhm) und dessen Frau Marianne (Margit Carstensen) Zuspruch und Verständnis, ahnt jedoch nicht, dass sie von den Kommunisten ebenso für ihre Zwecke missbraucht wird wie von einem „Anarchisten“ (Matthias Fuchs), der sich nicht mit dem Schwingen von politischen Reden begnügen will…

Kritik:

Fassbinder ließ sich für seinen Film von Piel Jutzis sozialkritischem Klassiker „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ aus dem Jahre 1929 inspirieren, der thematisch und im Aufbau viele Parallelen zu Fassbinders Film aufweist. Es mag überraschen, dass „Mutter Küsters‘ Fahrt zum Himmel“ diesmal auch die politisch Linke attackiert, hat es Fassbinder doch in seinem Oeuvre zumeist auf die besser gestellten Leute, das Großkapital und die Mächtigen, abgesehen. Doch wie Fassbinder betont hat, ging es ihm darum, Missstände aufzudecken, egal wo sie sichtbar sind und woher sie kommen. Brigitta Mira, die seit Fassbinders Mini-Fernsehserie „Acht Stunden sind kein Tag“ (1972) immer wieder mit Fassbinder gearbeitet hat und vor allem in „Angst essen Seele auf“ (1974) einen starken Eindruck hinterließ, überzeugt hier als plötzlich vereinsamte Frau, die nach über 30 Jahren Ehe vor den Trümmern ihrer Existenz steht, was sie zu einem leichten Opfer sowohl für die Boulevard-Presse als auch für politische Organisationen macht. Mit diesem Film trug Fassbinder in den USA zu einer Veränderung im Deutschlandbild der Amerikaner bei und schuf ein eindrucksvolles Lehrstück über die falsche Solidarität mit hilflosen Menschen und die Gnadenlosigkeit der Ausnutzung ihrer Situation.
"Mutter Küsters' Fahrt zum Himmel" in der IMDb

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