Angst essen Seele auf

Unter den gut vierzig Produktionen, die Rainer Werner Fassbinder zwischen 1969 und 1982 für Theater, Kino und Fernsehen realisiert hat, stechen einige Werke besonders heraus, die vor allem wegen ihrer unbequemen Thematik kontrovers diskutiert wurden, aber oft noch erschreckend aktuell sind. Das trifft vor allem für Fassbinders wohl bekanntestes Drama zu, dem 1974 entstandenen Drama „Angst essen Seele auf“, mit dem der Autorenfilmer die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland thematisierte.

Inhalt:

Um sich ein wenig vor dem Regen zu schützen, sucht Emmi (Brigitta Mira), eine als Putzfrau arbeitende Witwe und Mutter von drei verheirateten Kindern, eine Kneipe in der Altstadt von München auf und lässt sich direkt an der Eingangstür an einem leeren Tisch nieder. Nachdem sie von den Gastarbeitern an der Theke, aber auch von den deutschen Frauen an der Theke lange gemustert worden ist, erkundigt sie sich bei der Wirtin Barbara (Barbara Valentin) nach der fremdländischen Musik und bestellt eine Cola. Wenig später fordert der nur gebrochen Deutsch sprechende, aus Marokko stammende, in einer Autowerkstatt arbeitende Ali (El Hedi ben Salem) die Witwe zum Tanzen auf. Später begleitet er die Witwe zum Schutz nach Hause und wird von ihr in ihre Wohnung auf einen Kaffee eingeladen, bis der Regen aufhört. In Emmis Wohnung erzählt Ali von seiner Familie. Sein Vater sei Berber gewesen und habe Kamele besessen, mit denen er auf Wanderschaft gegangen sei. Emmi berichtet, ihr längst verstorbener Ehemann, ein polnischer Fremdarbeiter im Zweiten Weltkrieg, sei nach dem Krieg in Deutschland geblieben. Emmis Vater und sie selbst seien in der Zeit des Nationalsozialismus Parteimitglieder in der NSDAP gewesen, und ihr Vater habe eine Aversion gegen alle Ausländer gehabt.
Da Ali die letzte Tram verpasst hat und einen langen Heimweg hat, bringt ihn Emmi zur Übernachtung in ihrer Wohnung unter. Ali gehen etliche Gedanken im Kopf herum, die ihn nicht schlafen lassen, weshalb er Emmi in ihrem Schlafzimmer aufsucht und mit ihr die Nacht verbringt.
Als Emmi ihrer Tochter Krista (Irm Hermann) und deren Ehemann (Rainer Werner Fassbinder) mitteilt, dass sie sich in einen wesentlich jüngeren Marokkaner verliebt habe, reagieren diese mit heftiger Ablehnung. Nachdem der Hausbesitzer bemängelt hatte, dass eine unzulässige Untervermietung vorliegen würde und Ali am nächsten Tag ausziehen müsse, erklärt Emmi, sie beabsichtige, Ali zu heiraten. Nach der standesamtlichen Trauung kommt es zu einem Treffen des Ehepaares mit Emmis drei Kindern und dem Schwiegersohn. Die vier sind fassungslos. Emmis Sohn Bruno (Peter Gauhe) zertrümmert vor Wut den Fernseher seiner Mutter, ihr Sohn Albert (Karl Scheydt) bezeichnet sie als Hure. Emmis Nachbarinnen reagieren ebenso ablehnend wie ihre Kolleginnen aus der Putzkolonne und denunzieren sie bei der Polizei wegen zu lauter Musik. Nach einem gemeinsamen Urlaub wird das Paar scheinbar akzeptiert, aber aus eigennützigen Gründen. Der Lebensmittelhändler will auf Emmi als Kundin nicht verzichten: „Beim Geschäft muss die Abscheu zurückstehen“. Ihr Sohn Bruno erscheint im Hause seiner Mutter, um ihr den Schaden wegen des von ihm zertrümmerten Fernsehers zu ersetzen, und entschuldigt sich für sein jähzorniges Verhalten, nur um seine Tochter bei ihr unterbringen zu können, da seine Frau eine Halbtagsstelle angenommen habe.
In der Folgezeit gerät die Ehe in ernste Schwierigkeiten, weil Emmi mit dem ihr entgegengebrachten Ausländerhass nicht mehr zurechtkommt und Ali sich nicht wie ein sauberer, starker Ausländer vorführen lassen will und deshalb eine Affäre mit der Wirtin beginnt…

Kritik:

Um auf das Thema der Ausländerfeindlichkeit in Deutschland aufmerksam zu machen, hat Rainer Werner Fassbinder einmal mehr zu einer extremen Konstellation zurückgegriffen. Ihm reicht es nicht, eine Beziehung zwischen einer Deutschen und einem Ausländer im Kontext ihres Umfeldes zu beleuchten, er lässt eine gut sechzigjährige Witwe, die zuvor bereits mit einem Polen verheiratet war, sich auch noch in einen gut zwanzig Jahre jüngeren Marokkaner verlieben. Meisterhaft, wenn auch etwas plakativ inszeniert Fassbinder das Entsetzen der Nachbarinnen, von Emmis Kindern, ihrer Arbeitskolleginnen und des Ladeninhabers angesichts der unerhörten Beziehung. Fortan werden Emmi und Ali Opfer einer fortwährenden sozialen Unterdrückung, der sie beide zunächst nicht standhalten. Emmi erleidet immer wieder Weinkrämpfe, Ali flüchtet sich in eine rein sexuelle Beziehung mit der attraktiven Wirtin. Interessant ist, dass die Widerstände in Emmis und Alis Umgebung erst aufbrechen, als sie durch die Akzeptanz der Beziehung einen Vorteil für sich selbst erhoffen, sei es die Nutzung von Emmis Keller und die Betreuung der Tochter ihres Sohnes.
„Angst essen Seele auf“ beschreibt nicht nur im Titel das Unbehagen von in Deutschland arbeitenden Ausländern, sondern zeigt auf, wie aggressiv die Deutschen mit ihrem überkommenen Wertesystem und in ihrer Angst vor dem Fremden gegenüber Ausländern und Minderheiten vorgehen.

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