Niklashauser Fart

In einer Zeitspanne von etwas mehr als zehn Jahren hat der autodidaktisch geschulte Autorenfilmer Rainer Werner Fassbinder nicht weniger als vierzig Filme produziert, wobei der durch aufputschende Drogen angetriebene Filmemacher in seinem produktivsten Jahr 1970 gleich sechs abendfüllende Spielfilme inszenierte. Neben „Rio das Mortes“, „Whity“, „Pioniere in Ingolstadt“, „Der amerikanische Soldat“, „Warnung vor einer heiligen Nutte“ sowie die fürs Fernsehen eingerichtete Theaterinszenierung „Das Kaffeehaus“ zählte auch seine erste Fernsehproduktion „Niklashauser Fart“.

Inhalt:

Drei Freunde, der Bauer Antonio (Michael Gordon), ein „schwarzer Mönch“ in schwarzer Lederjacke (Rainer Werner Fassbinder) und Johanna (Hanna Schygulla) überlegen, was es braucht, ein Volk zur Revolution anzustiften. Sie stellen fest, dass es der Agitation, Schulung und ihr kämpferisches Beispiel bedarf, aber auch Theatereffekte erlaubt sind, wenn dadurch ihre Agitation wirkungsvoller wird. Sie kommen mit dem Viehhirten Hans Böhm (Michael König) zusammen, der vor einer Kirche eintönig Trommel schlagend gegen die Gleichgültigkeit predigt und behauptet, mit der Jungfrau Maria in Kontakt zu stehen. Den drei Freunden fällt die Ausstrahlung des Predigers auf, mit der er die Menschen zum Zuhören bringt. Auch die wohlhabende Margarete (Margit Carstensen) ist von dem Prediger fasziniert und lässt ihn und seine Freunde bei sich wohnen, tötet sogar seinetwegen ihren todkranken Mann. Der Prediger sagt, die Jungfrau Maria habe ihm ein Zeichen gegeben, dass die Menschen sich nicht mehr mit sozialer Ungerechtigkeit abfinden sollten. 
Die Kirche verweist wiederum darauf, dass jeder revolutionäre Aufstand Störungen des Gleichgewichts mit sich bringe; man dürfe ein Übel nicht mit einem noch größeren vertreiben. Humanismus sei, wenn die Armen aus dem, was ihnen von den Reichen angeboten werde, friedlich auswählen würden. Der Prediger jedoch lässt sich von seinen Vorstellungen nicht abbringen und ruft zur Enteignung, zur Gründung von Aktionskomitees und genossenschaftlicher Organisation auf. Bald kommen tausende Bauern aus Sachsen, Bayern, Schwaben, Hessen und Thüringen nach Niklashausen, um seinen Reden zu lauschen. Er fordert die Abschaffung der Zwangsabgaben und eine Gleichstellung aller Menschen. Die Freunde merken aber nach einiger Zeit der Agitation, dass die Anhänger die Botschaft des Volksaufstandes nicht verstehen, so dass sie Johanna instruieren, als Jungfrau Maria zum Volk zu sprechen. Doch auch das nutzt nichts. Obwohl sie feststellen, dass sie sich verrennen, sieht der Prediger den Zeitpunkt gekommen, zum bewaffneten Volksaufstand aufzurufen.
Ein Niklashauser Bürger hat den Prediger jedoch beim dekadent lebenden Bischof (Kurt Raab) verleumdet. Der lässt ihn von vier Uniformierten verhaften, von denen zwei als deutsche Polizisten und zwei als amerikanische Militärpolizisten gekleidet sind. Bei der Verhaftung auf einem Campingplatz richten sie ein Massaker an…

Kritik:

Eigentlich war Fassbinders erste Fernsehproduktion als historischer Film geplant, der auf dem Leben des im 15. Jahrhundert aktiven fränkischen Laienpredigers Hans Böhm basierte, der behauptete, das Wort der Mutter Gottes zu verkünden, eine Massenbewegung auslöste und 1476 öffentlich verbrannt wurde. Aber vier Wochen vor Produktionsbeginn wurde Fassbinder bewusst, dass er an einem rein historischen Film gar nicht interessiert sei und stattdessen eine Art Collage über das Scheitern von revolutionären Erhebungen machen wolle. 
Das erklärt, warum sich die Handlung des Films zeitlich nicht eindeutig verorten lässt, denn wenn die drei Freunde – darunter Fassbinder selbst – zu Beginn an über die Voraussetzungen einer Revolution diskutieren, befinden wir uns eindeutig in der Gegenwart, wenig später sehen wir den Laienprediger und seine Anhänger in historischen Kostümen. 
Das Thema der sozialen Ungleichheit, der Enteignung, der Gleichstellung aller Menschen ist gerade in Zeiten, in denen die Mächtigen vor allem dafür sorgen, dass sie und ihresgleichen noch reicher und mächtiger werden, ebenso hochaktuell wie brisant, aber Fassbinder lässt in seinem teils theaterhaft und sperrig inszenierten Film kein Zweifel an dem zwangsläufigen Scheitern einer Revolution aufkommen, und der collagenhafte Charakter wird vor allem in der eindringlichen Szene deutlich, wenn die Musiker von Amon Düül II in einer langen Szene eine Kostprobe ihres Könnens präsentieren. 

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