Vinyl

Dass Regie-Legende Martin Scorsese („Departed – Unter Feinden“, „The Wolf Of Wall Street“) auch für das Fernsehen erfolgreiche Serienkonzepte zu betreuen vermag, hat er seit 2010 mit der über fünf Staffeln laufenden Gangster-Serie „Boardwalk Empire“ bewiesen. Nachdem die bei HBO ausgestrahlte Serie 2014 nach fünf Staffeln eingestellt worden ist, begann Scorsese als ausführender Produzent bereits mit seiner nächsten Reise in die Vergangenheit.
Zusammen mit Mick Jagger, den er nicht zuletzt durch den Rolling-Stones-Konzertfilm „Shine A Light“ (2008) näher kennenlernen durfte, kreierte er mit „Vinyl“ eine Serie, die exemplarisch an einem New Yorker Platten-Label den Umbruch der Musikindustrie Mitte der 70er Jahre thematisiert. Nun sind die zehn Folgen der ersten und leider auch schon letzten Staffel über HBO/Warner auch auf DVD und Blu-ray erschienen.
In den 1960er Jahren hat Richie Finnestra (Bobby Cannavale) zusammen mit seinen Partnern Zak Yankovich (Ray Romano) und Skip Fontaine (J.C. MacKenzie) das Plattenlabel American Century Records aus dem Nichts zu einer extrem einträglichen Firma gemacht. Doch anno 1973 sieht es um das New Yorker Label nicht mehr allzu rosig aus. Mit Acts wie Lobo, Dr. Hook, Robert Goulet und Donny Osmond hält sich American Century gerade so über Wasser. Tatsächlich müssen sogar etliche Pressungen im Hudson River versenkt und illegal verscherbelt werden, um die Verkaufszahlen zu beschönigen. Dass Radio-DJs mit Geldbriefen und Kokstütchen bestochen werden, damit sie ihre Platten spielen, gehört längst zum Alltagsgeschäft.
Um sich gesundzustoßen, versuchen die Labelbosse ihren Laden an die deutsche Polygram zu verkaufen, dafür ist aber der Vertragsabschluss mit Led Zeppelin zwingend notwendig. Doch deren Manager Peter Grant (Ian Hart) lässt keine Zweifel daran, was er von dem Angebot hält, und kehrt American Century den Rücken. Nachdem zwangsläufig auch der Deal mit Polygram geplatzt ist, müssen sich Richie, Zak und Fontaine auf ihre alten Qualitäten besinnen. Sie dünnen das Labelrooster aus und beschwören ihre A&Rs, mit frischen Talenten vorstellig zu werden. Ausgerechnet die engagierte Assistentin Jamie Vine (Juno Temple) zieht mit den Nasty Bits um den charismatischen Frontmann Kip Stevens (James Jagger) einen vielversprechenden Act an Land.
Derweil versucht Richie, den ebenso prominenten wie arroganten Radio-DJ „Buck“ Rogers (Andrew Dice Clay) wieder in die Spur zu bringen. Nachdem einer von Richies Künstlern den Radio-Star beleidigt hat, weigert sich dieser beharrlich, Acts des Labels zu spielen. Richies Versuch, den Problemlöser Joe Corso (Bo Dietl) damit zu beauftragen, scheitert kläglich, am Ende liegt Rogers in seiner Wohnung erschlagen am Boden. Richie gelingt es nur noch, durch anhaltenden Kokain-Konsum bei der Stange zu bleiben, während alles um ihn herum zusammenzubrechen droht. Auch seine attraktive Frau Devon (Olivia Wilde) wendet sich von ihm ab …
Natürlich ist es interessant, wenn ein renommierter Filmemacher wie Martin Scorsese, nachdem er bereits Dokumentationen über The Band (1978), die Rolling Stones (2008) und George Harrison (2011) sowie das Video zu Michael Jacksons Hit „Bad“ inszeniert hatte, einen Blick hinter die Kulissen der Musikwirtschaft wirft.
In dem knapp zweistündigen Pilotfilm, bei dem Scorsese sogar selbst hinter der Kamera stand, stellt er nicht nur die Situation des kränkelnden Labels American Century vor, sondern auch die oft recht interessanten Figuren, die im Business mitmischen. Doch nur selten machen diese in den neun weiteren Folgen eine nennenswerte Entwicklung durch. Der Blues-Musiker Lester Grimes (Ato Essandoh) beispielsweise verliert nach einer unschönen Begegnung mit der Mafia seine Stimme und endet als Manager der Nasty Bits. Richies Frau Devon wird ihre Rolle als zahme Ehefrau und Mutter der beiden Kinder leid und widmet sich wieder ihrer früheren Leidenschaft, der Fotografie. Richie und seine Partner leihen sich Geld von der Mafia und bekommen ihren Laden nicht mehr richtig in den Griff.
Dieses Szenario bietet sicherlich Stoff für einen unterhaltsamen Spielfilm, aber sich nicht für eine Serie, schon gar nicht für mehrere Staffeln. Der Tod von Radio-DJ Buck Rogers und die finanzielle Krise des Labels dienen zwar als Spannungsmoment, doch gelingt es den Drehbuchautoren nicht, darum herum eine packende Geschichte zu erzählen.
„Vinyl“ überzeugt durch den rockigen Soundtrack und die stimmige 70er-Jahre-Atmosphäre mit Schlaghosen, Backenbärten und schrillen Hemden. Davon abgesehen begnügt sich die Serie aber mit dem Widerkäuen vertrauter Versatzstücke des Mythos von Sex, Drugs & Rock’n’Roll, ohne neue Einblicke zu vermitteln. Darüber hinaus scheinen sich die Serienschöpfer nicht einig gewesen zu sein, ob sie ein Stück Musikgeschichte aufgreifen, einen Krimi oder eine Art Biografie kreieren bzw. alle Zutaten miteinander zu einem undefinierbaren Genre-Mix mit coolem Look und starkem Soundtrack vereinen wollten.
"Vinyl" in der IMDb

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