Der seidene Faden

Seit er für seinen zweiten Film „Boogie Nights“ (1996) das erste Mal für einen Oscar nominiert worden ist, zählt Paul Thomas Anderson zu den vielseitigsten Filmemachern in Hollywood. Nach „Magnolia“ (1999), „There Will Be Blood“ (2007) und „Inherent Vice“ (2014) ging auch sein achter Film „Der seidene Faden“ bei der diesjährigen Oscar-Verleihung mit sechs Nominierungen ins Rennen. Zwar durfte sich am Ende nur Kostümdesigner Mark Bridges über einen Academy Award freuen, doch der historische Liebesfilm zählt mit seiner edlen Ausstattung, der feinfühligen Regie und den großartigen Darsteller-Leistungen fraglos zu den besten Filmen des vergangenen Jahres.
Der in den 1950er Jahren in London lebende Modedesigner Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) hat sich mit seinem Label „The House of Woodcock“ zu einem Star der Haute-Couture-Szene gemausert, der von Angehörigen des Adels, Entertainment-Größen und anderen Prominenten hofiert wird. Dabei hilft dem zurückhaltend lebenden Damenschneider seine ältere Schwester Cyril (Lesley Manville) mit ihrer rigorosen Art, nicht nur die Gruppe der Schneiderinnen mit strenger Hand zu führen, sondern sich auch um die Beendigung der Affären zu kümmern, derer Reynolds immer sehr schnell überdrüssig wird.
Erst als er die Kellnerin Alma (Vicky Krieps) kennenlernt, wird seine Routine im Alltags-, Arbeits- und Liebesleben durcheinandergewirbelt, denn im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen verfügt Alma über das robuste Selbstbewusstsein einer Frau, die nicht nur ein vorübergehendes Liebchen, sondern eine gleichberechtigte Partnerin für ihren Mann sein will. Dazu greift sie zu ungewöhnlichen Mitteln, die Reynolds Sicht auf das Leben für immer verändern …
Wenn der preisgekrönte britische Schauspieler Daniel Day-Lewis (mit drei Oscars für seine Hauptrollen in „Mein linker Fuß“, „There Will Be Blood“ und „Lincoln“ sowie zwei weiteren Nominierungen für seine Darstellungen in „Im Namen des Vaters“ und „Gangs Of New York“) seine Ankündigung wahrmacht, dann haben wir ihn in Andersons „Der seidene Faden“ zum letzten Mal auf der Leinwand gesehen. Dann hätte er mit seiner Oscar-nominierten Darstellung auch ein adäquates Testament hinterlassen, denn wie gewohnt hat sich der großartige Schauspieler akribisch auf seine Rolle als etwas wunderlicher Modezar vorbereitet und füllt mit charismatischer Lässigkeit die Leinwand aus. Anderson verwendet zunächst viel Zeit darauf, dem Zuschauer den Prozess der Modeschöpfung in eleganten Bildern nahezubringen. Schon beim Frühstück, das einer strengen Routine folgt und bei dem keine allzu lauten Nebengeräusche erlaubt sind, sitzt Reynolds über seinen Entwürfen, die er bevorzugt an seiner derzeitigen Muse ausprobiert, dann macht sich das eingespielte und fleißige Team der Schneiderinnen daran, im Atelier, das sich ebenfalls im Wohnhaus der Woodcocks befindet, die Entwürfe umzusetzen. Auch wenn Reynolds vor allem für die wohlhabende Prominenz Kleider kreiert, sind ihm die damit verbundenen gesellschaftlichen Verpflichtungen eher lästig. So überlegt Reynolds sich an seinen Entwürfen und Kreationen zu schaffen macht, so ruhig führt Anderson auch die Kamera in sorgfältig durchkomponierten Bildern durch das entschleunigte Geschehen.
Interessant wird „Der seidene Faden“, als Alma in das Leben des Modeschöpfers tritt. Nachdem zunächst alles darauf hindeutet, dass Alma ein ähnliches Schicksal bevorsteht wie ihren Vorgängerinnen, übernimmt sie im letzten Filmdrittel überraschend die Initiative und entwickelt eine ebenso gefährliche wie ungewöhnliche Methode, sich ihren Platz an Reynolds Seite zu sichern. Andersons Film lebt vor allem von den drei starken Figuren, die das Geschehen prägen, wobei nicht nur der bereits erwähnte Daniel Day-Lewis eine überzeugende Leistung abliefert, sondern auch Vicky Krieps („3 Tage in Quiberon“, „Wer ist Hanna?“) als zunächst scheu wirkende junge Frau, die mit unerwarteter Hartnäckigkeit ihre Ziele verfolgt, und die für einen Oscar als beste Nebendarstellerin nominierte Lesley Manville („Maleficent“, „Another Year“) als Reynolds fürsorgliche wie resolute Schwester sorgen mit ihren dezidierten und reifen Leistungen für Glanzpunkte, zumal Anderson immer sehr nah mit seiner Kamera bei seinen Darstellern ist, um das Spektrum ihrer Gefühlsregungen einzufangen.
Neben den wundervollen Bildern und dem einfühlsamen Soundtrack von Radiohead-Musiker Jonny Greenwood, der mit Anderson bereits seit „There Will Be Blood“ zusammenarbeitet, sorgt vor allem der feinsinnige Humor für einen hohen Unterhaltungswert in einem Film, dem bei allen ausgewiesenen Qualitäten aber die Leidenschaft fehlt. 
"Der seidene Faden" in der IMDb

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