Shining

Seit seinem zivilisationskritischen Meisterwerk „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ (1964) hat sich Stanley Kubrick stets viel Zeit für seine weiteren Filme genommen. Nach „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968), „Uhrwerk Orange“ (1971) und „Barry Lyndon“ (1975) erschien seine Stephen-King-Adaption „Shining“ erst 1980 und stellte Kubricks einzigen Ausflug ins Horror-Genre dar, bevor er mit „Full Metal Jacket“ (1987) und „Eyes Wide Shut“ (1999) seine letzten beiden Filme realisierte. Allerdings fügt sich Kubricks Interpretation des King-Stoffes nahtlos in seine von einer pessimistischen Weltsicht geprägte Werksbiografie ein und überzeugt vor allem durch Jack Nicholsons grandiose Darstellung eines erfolglosen Schriftstellers, der dem Wahnsinn verfällt.
Der ehemalige Lehrer Jack Torrance (Jack Nicholson) fährt zu einem Bewerbungsgespräch zum Overlook-Hotel, das abgelegen in den Bergen von Colorado liegt und den Betrieb im Winter einstellt. Wie sich Jack von Hotelmanager Ullman (Barry Nelson) erklären lässt, besteht sein Job als Hausmeister vor allem darin, das Hotel vor Frostschäden zu schützen und die einzelnen Seitenflügel abwechselnd durchzuheizen.
Die eigentliche Herausforderung würde für Jack und seine Familie darin bestehen, die Einsamkeit in den Wintermonaten, in denen das Hotel völlig abgeschnitten von der Außenwelt sein würde, zu ertragen. Dabei weist Ullman Jack auf einen Vorfall aus dem Jahre 1970 hin, bei dem der frühere Hausverwalter Grady erst seine beiden Töchter und seine Frau mit einer Axt erschlug und sich dann selbst mit einem Gewehr erschoss. Doch von dieser Geschichte lässt sich Jack nicht irritieren, stattdessen freut er sich darauf, in der mehrmonatigen Isolation im Hotel in Ruhe an seinem Roman arbeiten zu können. Als Jack wenig später mit seiner Frau Wendy (Shelley Duvall) und seinem Sohn Danny (Danny Lloyd) am letzten Betriebstag im Hotel eintrifft, werden Wendy und Danny von schwarzen Küchenchef Dick Hallorann (Scatman Crothers) herumgeführt.
Hallorann spürt, dass Danny wie er selbst auch über die Gabe des „Shining“, des Hellsehens und der Kommunikation ohne gesprochene Worte, verfügt. Bei Danny drückt sich diese Gabe vor allem durch seinen imaginären Freund Tony aus, der mit Danny über dessen Zeigefinger kommuniziert und ihn beispielsweise auf Gefahren hinweist.
Kaum ist das Hotel eingeschneit und mit der Außenwelt nur per Funk mit der Polizeistation verbunden, beginnt Jack auch schon durchzudrehen. Mit seinem Roman kommt er überhaupt nicht voran und legt ein immer aggressiveres Verhalten seiner Familie gegenüber an den Tag. Als Danny eines Tages mit Würgemalen am Hals Zuflucht bei seiner Mutter sucht und behauptet, eine Frau in Zimmer 237 habe sie ihm zugefügt, ist Wendy davon überzeugt, dass Jack dafür verantwortlich gewesen ist. Während Danny zunehmend von weiteren Visionen geplagt wird, in denen er dem Geist von Zwillingsschwestern begegnet, die blutüberströmt in den Hotelfluren liegen, sucht der trockene Alkoholiker Jack Zuflucht in der Hotelbar, wo er sich bei dem Barkeeper Lloyd (Joe Turkel) über seine unbefriedigende Situation beklagt. Als ihm dann auch noch der Geist von Grady begegnet, der Jack rät, seine aufmüpfige Familie zur Räson zu bringen, sind Wendy und Danny ihres Lebens nicht mehr sicher …
Stanley Kubricks „Shining“ bildete den Höhepunkt der Spukhaus-Horror-Welle, zu der John Llewellyn Moxeys „Das Geisterhaus“ (1970), John Houghs „Tanz der Totenköpfe“ (1972) und vor allem Stuart Rosenbergs „Amityville Horror“ (1979) zählten. Ähnlich wie in Steven Spielbergs „Poltergeist“ scheinen auch in „Shining“ die geschändeten Gebeine von Indianern für die unheimlichen Ereignisse im Overlook-Hotel verantwortlich zu sein. Zumindest bietet Kubrick diese Interpretation an, als der Hotelmanager beim Rundgang mit der Torrance-Familie um das Hotel auf die Geschichte der Erbauung hinweist. Vielmehr geht es Kubrick aber darum, den Zerfall einer auf sich gestellten Familie zu beschreiben, die sich nicht nur der blutigen Geschichte des Hotels auseinandergesetzt sieht, in dem sie wohnen, sondern auch den hysterischen Schüben des Familienoberhaupts, den spirituellen Fähigkeiten des Kindes und der völlig verunsicherten Frau.
Dass sich Stephen King letztlich wenig begeistert von der Verfilmung seines Stoffes zeigte, lässt sich insofern nachvollziehen, als dass sich Kubrick sehr viele Freiheiten bei der Adaption des Buches genommen hat. Während King den Auflösungsprozess der Familie, die verstörenden Visionen, die zunehmende Vermischung von Realität, Traum und Vision sowie die zerstörerische Gewalt sukzessive aufgebaut hat, dauert es bei Kubrick nicht allzu lange, bis Jack die Grenzen der Vernunft überschreitet und zur tickenden Zeitbombe wird. Vor allem hat Kubrick den Schluss gänzlich anders gestaltet als King in seiner Romanvorlage.
Von den erheblichen Abweichungen zwischen Buch und Film abgesehen, bietet Kubricks „Shining“ allerdings ein Paradebeispiel für die stimmige Darstellung psychischer Ausnahmezustände, in die sich die Jack, Wendy und Danny in unterschiedlich starken Ausprägungen begeben.
Während bei Danny aufgrund seiner übersinnlichen Fähigkeiten noch eher nachvollzogen werden kann, was der Realität und visionären Eingebungen über vergangene wie zukünftige Schreckenstaten entspricht, ist es gerade bei Jacks Besuchen in der Hotelbar schwer zu deuten, inwieweit Jack von übermäßigem Alkoholkonsum oder zunehmenden Wahnvorstellungen tatsächliche oder nur imaginierte Ereignisse erlebt.
Mit seiner ausdrucksvollen Mimik und Gestik unterstreicht Nicholson („Die Hexen von Eastwick“, „Chinatown“) expressiv die Wandlung vom liebevollen Familienvater zum mordenden Psychopathen. Aber auch der kleine Danny Lloyd spielt den mit der „Shining“-Gabe versehenen Torrance-Jungen großartig. Dazu bietet Kubrick ganz klassische, blutige und schaurige Horror-Szenen, die durch den immer wieder zu laut abgemischten, nervenaufreibenden Score von Wendy Carlos („Tron“) noch an Schock-Potenzial gewinnen.
Auch wenn Stephen King aus seinem Stoff 1997 von seinem Freund Mick Garris („The Stand – Das letzte Gefecht“, „Critters 2 – Sie kehren zurück“) noch einen buchgetreuen Fernseh-Dreiteiler inszenieren ließ, zählt Kubricks „Shining“ zu den besten King-Verfilmungen und fügt sich nahtlos in das großartige Werk des Filmemachers ein. 
"Shining" in der IMDb

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