Geister

Als David Lynch („Wild at Heart“, „Lost Highway“) 1990 für ABC die Serie „Twin Peaks“ an den Start brachte, veränderte er damit nachhaltig die Fernseh- und vor allem Serien-Landschaft. Die einzigartige Verbindung einer klassischen Soap mit zunehmend verstörenden Mystery- und Horror-Elementen darf als Vorläufer und Inspiration von Erfolgsserien wie „Akte X“, „Lost“, „Fargo“ und „Riverdale“ angesehen werden. Aber auch der dänische Filmemacher Lars von Trier benennt „Twin Peaks“ als maßgeblichen Einfluss auf seine eigene Krankenhaus-Serie „Geister“, die zunächst 1994 und 1997 in zwei Staffeln gelaufen war und – ähnlich wie „Twin Peaks“ – sehr spät (2022) mit einer dritten Staffel abgeschlossen wurde. 

Inhalt: 

In der neurochirurgischen Abteilung des Reichskrankenhauses (kurz Riget) Kopenhagen geht es nicht mit rechten Dingen zu. Sowohl das Personal als auch die Patienten sehen sich mit übernatürlichen Phänomenen konfrontiert. Die notorische Simulantin und Spiritistin Frau Drusse (Kirsten Rolffes) geht, zusammen mit ihrem Sohn Bulder (Jens Okking), der als Pfleger in dem Krankenhaus arbeitet, den Vorkommnissen auf den Grund, indem sie mit anderen Patientinnen spiritistische Sitzungen abhält. Der schwedische Professor Stig Helmer (Ernst-Hugo Järegård), der einen abgrundtiefen Hass auf alles Dänische pflegt, führt einen Kleinkrieg gegen das dänische Gesundheitssystem und seine Arbeitskollegen, während ihn eine zunehmend konfliktgeladene Beziehung mit der Ärztin Rigmor Mortensen (Ghita Nørby) verbindet. Gleichzeitig muss Helmer einen Kunstfehler bei einer Gehirnoperation, durch den das Mädchen Mona (Laura Christensen) dauerhaft geschädigt wurde, vertuschen. 
Prof. Moesgaard (Holger Juul Hansen), der völlig überforderte Chefarzt der Abteilung, versucht durch die „Aktion Morgenluft“ das Arbeitsklima zu verbessern; er selbst sucht bei einem unkonventionell arbeitenden Psychotherapeuten Hilfe, um den eigenen Problemen auf den Grund zu gehen. 
 Assistenzarzt Krogen (Søren Pilmark), der sich im Keller des Krankenhauses häuslich niedergelassen hat, im Besitz des Helmer belastenden Anästhesie-Protokolls bei Monas Operation ist und über seine Kontakte alles Erdenkliche beschaffen kann, wird von Helmer mit einem aus Haiti stammenden Voodoo-Gift getötet und später als Zombie wiederbelebt. 
Frau Drusse kommt einer Verschwörung von Satanisten auf die Spur, in deren Mittelpunkt die Wiedergeburt eines Arztes namens Åge Krüger (Udo Kier) steht, der einst seine uneheliche Tochter Mary im Krankenhaus getötet hatte. Der als Dämon zurückgekehrte Åge Krüger zeugt mit der Assistenzärztin Judith (Birgitte Raaberg), die sich auf eine Liaison mit Krogen einlässt, ein Kind, doch das selbst ernannte „Brüderchen“ (Udo Kier) entwickelt sich nach der Geburt binnen kürzester Frist zu einem unförmigen Monstrum. Den Verlockungen seines dämonischen Vaters, sein Leiden werde beendet, wenn er sich dem Bösen zuwendet, widersteht Brüderchen. Stattdessen bittet er seine Mutter, ihn sterben zu lassen, um in die Welt der guten Geister überwechseln zu können. 25 Jahre später haben die Ereignisse im Riget hinterlassen. Als sich die ebenso wie die verstorbene Frau Drusse spiritistisch interessierte Schlafwandlerin Karen (Bodil Jørgensen) die letzten Folgen von Lars von Triers „Geister“ anschaut, macht sie sich auf den Weg zum Reichskrankenhaus, um sich dort einweisen zu lassen und die Fragen zu beantworten, die die angeblich fiktive Serie offengelassen hat. Aus dem „Brüderchen“ (Udo Kier) ist mittlerweile ein gigantischer Schädel geworden, der als Torwächter des Krankenhauses nun in einem See aus seinen eigenen Tränen zu ertrinken droht. Die schwedische Flagge hält jetzt nicht allein Helmers arroganter Sohn Helmer Jr. (Mikael Persbrandt), sondern eine ganze Gemeinschaft, die nichts weniger im Sinn hat, als das dänische Gesundheitssystem zu sabotieren. 
Doch die schwedische Solidarität verhindert nicht, dass Helmer Jr. von seiner Kollegin Anna Gramm (Tuva Novotny) wegen sexueller Belästigung angeklagt wird… 

Kritik: 

Während David Lynch und Mark Frost ihre Serie „Twin Peaks“ im Hotel, im Diner, im Sägewerk, im Sheriff’s Department, in den Wäldern und Wohnungen der Einwohner von Twin Peaks spielen ließen, beschränkt sich das Geschehen in Lars von Triers „Geister“ vollkommen auf das Reichskrankenhaus in Kopenhagen und seine nähere Umgebung. Damit verarbeitete der Regisseur, der zusammen mit Niels Vørsel das Drehbuch schrieb, nicht nur den Einfluss von „Twin Peaks“, sondern auch den sehr persönlichen Umstand, dass seine eigene Mutter nach langer Krankheit 1989 im Krankenhaus verstarb und er selbst bereits in seiner Kindheit unter Depressionen und Phobien litt. 
Von Trier verwendete eine Handkamera und entsättigte, grobkörnige Sepia-Töne, um den verschrobenen Krankenhaus-Alltag und die verstörenden paranormalen Ereignisse in ein stimmiges Gleichgewicht zu bringen. Während ein Glöckchen-klingelndes Geistermädchen auf dem Dach des Fahrstuhls oder während einer OP bei einem nur mit Hypnose betäubten Patienten um Gehör bittet, entfaltet sich eine ungeheuerliche Geschichte, die deutlich macht, dass das Böse menschengemacht erscheint. Mit einer gehörigen Portion schwarzem Humor entlarvt von Trier die Ärzte als arrogante bis inkompetente Halbgötter in Weiß, denen es allein um persönlichen Erfolg und Einhaltung der kuriosesten Marotten als um das Wohl der ihnen anvertrauten Patienten geht. 
Da werden im Keller Sitzungen der Freimaurerloge und psychotherapeutische Trommel-Workshops abgehalten, während die beiden vom Down-Syndrom gehandicapten Tellerwäscher wie ein griechischer Chor im Theater das Geschehen kommentieren. 
Von Trier macht sich einen Spaß daraus, die Zuschauererwartungen nach dem unbefriedigenden Ende der 2. Staffel und mit „Geister: Exodus“ zu unterlaufen. Statt die erhofften Antworten präsentiert von Trier einen absurden Wettkampf zwischen den Nationalitäten und Geschlechtern, zwischen Wissenschaft und Okkultismus. Dass es um den Kampf zwischen Gut und Böse geht, macht von Trier vor allem immer wieder im Abspann der einzelnen Folgen deutlich, wenn er die vorangegangene Episode kommentiert und sein Publikum ermuntert, weiter am Ball zu bleiben. 
In der dritten Staffel sind übrigens nur noch seine Schuhe im Abspann zu sehen, wenn der an Parkinson erkrankte Regisseur nicht mehr vor, sondern hinter einem roten Vorhang seine Kommentare zum Besten gibt. 
„Geister“ bietet über drei Staffeln einen ungewöhnlichen Mix aus Krankenhaus-Soap, Mystery und Horror mit wunderbaren Darstellern (in der dritten Staffel sind auch so prominente Leute wie Willem Dafoe, Alexander Skarsgård und Lars Mikkelsen zu sehen) und einem verschrobenen Plot, der die Grenzen zwischen Wissen und Glauben verwischt. 

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