Taschengeld
Seit Beginn seiner Karriere hat François Truffaut ein ausgeprägtes Faible dafür gehabt, mit Kindern zu drehen und ihre Geschichten zu erzählen. Thematisierte sein Langfilmdebüt „Sie küssten und sie schlugen ihn“ (1959) noch den Umgang von Erwachsenen mit problembehafteten Kindern und sensibilisierte den Filmemacher für pädagogische Experimente mit schwierigen Kindern, war „Der Wolfsjunge“ (1970) bereits ein Ergebnis seines Engagements in der „Secours Populaire Français“, einer Vereinigung, die sich um Probleme von Kindern und von benachteiligten Familien kümmert. 1976 schlug er mit „Taschengeld“ einen leichteren Ton an und vereinte Anekdoten und Vorfälle, die Truffaut während der Entstehung seines Kurzfilms „Die Unverschämten“ und „Sie küssten und sie schlugen ihn“ gesammelt hatte.
Inhalt:
In der französischen Kleinstadt Thiers kümmert sich Mitte der 1970er Jahre eine Gruppe aus Lehrern und Eltern um die ihnen anvertrauten Kinder, steht ihnen mit Rat zur Seite, schenkt ihnen Geborgenheit und Aufmerksamkeit. Der Halbwaise Patrick, der sich um seinen an den Rollstuhl gefesselten Vater kümmert, freundet sich mit dem erst im Juni in seine Schule und Klasse gekommenen, in ärmlichen Verhältnissen lebenden Julien an, schwärmt aber auch für die Mutter seines Freundes Laurent. Der zweijährige Grégory stürzt bei dem Versuch, ein kleines Kätzchen von einem Fenstersims zu holen, aus dem Fenster eines Hochhauses, ohne sich zu verletzen.
Die kleine Sylvie weigert sich, mit ihren Eltern essen zu gehen, weil sie nicht ihre geliebte Handtasche mitnehmen darf, und benutzt das Megafon ihres Vaters, um in dem Innenhof zu verkünden, dass sie Hunger habe, worauf die Nachbarn ihr einen Korb mit Essen zusammenstellen und über ein Seil zukommen lassen. Und während Bruno seinen Mitschülern angeberisch demonstriert, wie man mit Mädchen umgeht, versuchen die Deluca-Brüder, durch Gaunereien ihr Taschengeld aufzubessern…
Kritik:
Es ist eine bekannte Tatsache, dass Truffaut gerade in seinen frühen Filmen des Antoine-Doinel-Zyklus seine eigene Kindheit thematisierte, in der er unter der Grausamkeit und Gleichgültigkeit der Erwachsenen sowie seiner Eltern gelitten hatte. In seinem 1976 nach eigenem, zusammen mit Suzanne Schiffman verfassten Drehbuch entstandenen Film „Taschengeld“ nehmen erstmals Kinder die Hauptrollen ein. Die Laiendarsteller stammen wie die meisten Erwachsenen aus Thiers (der Hausmeister der Schule beispielsweise übte den Beruf auch im wirklichen Leben dort aus) und sorgen für die entsprechende Authentizität des Films, der keine zusammenhängende Geschichte erzählt, sondern Episoden von der Geburt bis zur Adoleszenz.
So beschränken sich die Schauplätze fast ausschließlich auf die Schule, in der Mädchen und Jungen noch getrennt voneinander unterrichtet wurden, auf die Wohnungen und Arbeitsplätze (u.a. Schreibwarengeschäft und Friseursalon) ihrer Eltern und – natürlich – das Kino, in dem Erwachsene und Kinder ihre Freizeit verbringen.
Was Truffaut mit seinem Film auszudrücken versucht, wird im finalen Plädoyer des Lehrers und frisch gebackenen Vaters Richet deutlich, als dieser den Kindern von seiner eigenen schweren Kindheit berichtet, davon, wie wichtig Liebe für die Entwicklung eines Menschen sei, aber auch von der Notwendigkeit, sich ein hartes Fell zuzulegen, weil die Politik sich nicht um die Rechte der Kinder schert. Erst als Erwachsener stünden einem alle Möglichkeiten offen.
Truffaut inszenierte „Taschengeld“ mit großer Sensibilität und portraitierte die Erwachsenen als fürsorgliche Eltern und Pädagogen, die nur das Beste für die Kinder wollen. Es ist ein Film, der wie eine Aussöhnung des Regisseurs mit seiner eigenen beschwerlichen Kindheit wirkt.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen