In My Room

Der in Marburg geborene Ulrich Köhler legte nach seinem Kunststudium im französischen Quimper und dem anschließenden Studium der Philosophie und Visuellen Kommunikation an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg im Jahre 2002 mit „Bungalow“ sein Langfilmdebüt vor und konnte nach „Montag kommen die Biester“ (2006) bereits mit seinem dritten Werk „Schlafkrankheit“ (2011) den Silbernen Bären für die Beste Regie in Empfang nehmen. Nachdem sein neuer Film „In My Room“ bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes sein Debüt feierte, lief der Film nun in der Reihe „Neue Deutsche Filme“ beim diesjährigen Braunschweig International Film Festival.
Armin (Hans Löw) hat es nicht leicht. Der freiberufliche Kameramann kommt in Berlin mehr schlecht als recht über die Runden, wohnt in einer winzigen Einzimmerwohnung und setzt bei einem Einsatz im Bundestag jede Einstellung in den Sand. Der Clubbesuch am Abend läuft auch nicht viel besser. Zwar kann er die junge Rosa (Emma Bading) mit nach Hause nehmen, doch nach dem Knutschen ist auch schon wieder Schluss, weil Armin seiner Eroberung nicht seine Zahnbürste überlassen möchte. Da die Oma im Sterben liegt, besucht Armin seinen Vater (Michael Wittenborn) und seine neue Freundin (Katharina Linder), nach dem Ableben der geliebten Oma auch seine Mutter, die allerdings zuhause mit ihrem Chor beschäftigt ist.
Am Brückenpfeiler eines Flussufers beobachtet er eine Party auf der anderen Seite der Brücke und genehmigt sich einige Biere. Als er am Morgen in seinem Wagen aufwacht und sich wieder auf den Weg macht, findet er an einer Tankstelle nur verlassene Autos und Motorräder, im dunklen Verkaufsraum nimmt er sich eine Packung Zigaretten und legt brav das Geld auf den Tresen. Auch auf den Straßen bietet sich ihm das gleiche Bild: verlassene Autos und Motorräder, wo er auch langfährt. Als Armin allmählich dämmert, was hier vor sich geht, fährt er wieder zurück zu seinem Vater, findet aber nur die verstorbene Oma in ihrem Bett wieder sowie einen tödlich verletzten Hund, den Armin nicht übers Herz bringt, von seinem Leiden zu erlösen.
Am nächsten Tag macht er sich auf in den Süden, über die Grenze nach Südtirol, wo er sich in einer Hütte eine neue Existenz als Kartoffelbauer und Viehzüchter aufbaut, Elektrizität durch ein selbstgebautes Wasserrad am Fluss erzeugt. Armin hat sich schon damit abgefunden, sein Leben allein mit den Tieren zu verbringen, da taucht eines Tages die Italienerin Kirsi (Elena Radonicich) auf …
Ulrich Köhler präsentiert mit „In My Room“ einen ganz eigenwilligen Weg, sich die Vorstellung auszumalen, als letzter Mensch auf Erden zu leben. Dabei bietet er weder er eine Erklärung dafür, wie es zu diesem Schwund über Nacht gekommen ist, noch fragt sein Protagonist danach. Stattdessen nimmt sich der Film viel Zeit, Armins nicht allzu erfreuliche Lebensumstände zu beschreiben, das Verhältnis zu seinen Eltern, die Sterbebegleitung für seine Oma. Den Versuchungen ungehemmten Konsumgenusses erliegt er nicht. Als er im verlassenen Tankstellen-Shop vergeblich nach einer Bedienung sucht, bezahlt er brav das einzelne Päckchen Zigaretten und fährt einfach weiter, bis er irgendwann mit seinem alten Zuhause abgeschlossen hat und sich in einem Südtiroler Wald ein neues Leben als Selbstversorger aufbaut.
Hier zeigt sich auf einmal, dass Armin nicht nur sein Wohlstandsbäuchlein abgelegt und an Muskeln zugelegt hat, sondern auch handwerklich durchaus geschickt einen Stromgenerator und Unterkünfte für sein Vieh zu bauen versteht. Kompliziert wird es erst, als mit Kirsi eine attraktive Italienerin auftaucht, die sich zwar auf eine Wohngemeinschaft und auch sexuelle Beziehung mit Armin einlässt, aber auf keinen Fall ein Kind in diese Welt setzen will.
Während Armin zuvor im Arbeits- und Gesellschaftsleben ein absoluter Loser gewesen ist, macht ihm nun seine Stellung niemand mehr streitig. Als letzter lebender Mann auf Erden muss er nicht mehr Ruhm und Anerkennung kämpfen, muss sich nicht mehr unterordnen. Mit dieser neuen Freiheit darf er sich ganz Mann fühlen, blüht in der Einrichtung seines Heims vollkommen auf, ist vollwertiger Sexualpartner und kann das Leben wieder genießen, wie das Nacktbaden im Fluss, das Stöbern in der Auswahl einer Videothek oder das Tanzen zur lauten Musik aus einem LKW deutlich machen.
Was „In My Room“ so sympathisch macht, ist, dass der Film keine Erklärungen und keine Lösungen anbietet, sondern eine Möglichkeit durchdekliniert, wie der letzte Mann auf Erden seine Freiheit nutzt, aus den vermeintlich grenzenlosen Ressourcen, die ihm zur Verfügung stehen, seinen Lebensentwurf zu gestalten, ohne diese zu bewerten. Stattdessen erweist sich die Kamera eher als dokumentarische Begleitung, während Hans Löw ganz großartig den Film fast allein mit seiner eindringlichen Darstellung trägt. 
"In My Room" in der IMDb

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