Misery

Stephen King hat es in seiner unnachahmlich produktiven wie erfolgreichen Schriftsteller-Karriere immer wieder geschafft, aus alltäglichen Situationen heraus unvorstellbar gruselige Entwicklungen entstehen zu lassen, die unsere tiefsten Ängste in grausam konkrete Bilder umwandeln. Ein besonderes Paradestück für diese Kunst stellt sein Roman „Misery“ dar, den Rob Reiner („Eine Frage der Ehre“, „Harry und Sally“) 1990 mit einer überragenden Kathy Bates und einem nicht minder überzeugenden James Caan in den Hauptrollen adaptiert hat.
Seinen Erfolg als Schriftsteller verdankt Paul Sheldon (James Caan) einer Romanreihe über eine Frau namens Misery. Doch nun scheint es an der Zeit, seine lukrative, aber wenig prestigeträchtige Figur sterben zu lassen und sich als ernstzunehmender Autor zu etablieren. Als er seinen letzten Misery-Roman in einem entlegenen Hotel in Colorado fertiggestellt hat, kündigt er sich bei seiner Verlegerin Marcia Sindell (Lauren Bacall) an, die wenig begeistert davon ist, dass Paul seine und damit auch ihre Geldquelle versiegen lassen will. Doch auf dem Weg zu ihr nach New York kommt der Schriftsteller mit seinem Wagen von der stark verschneiten Straße ab und bleibt in dem Wrack am Abhang bewusstlos liegen.
Als er wieder aufwacht, befindet er sich in der Obhut der ehemaligen Krankenschwester Annie Wilkes (Kathy Bates), die ihn offensichtlich aus dem Wagen gerettet hat und nun zuhause gesundpflegen will, bis sich die Wetterverhältnisse soweit gebessert haben, dass sie Paul mit seinen schweren Beinbrüchen und Prellungen ins Krankenhaus bringen kann. Um seine Dankbarkeit zu demonstrieren, lässt Paul seiner Retterin, die sich zufällig auch noch als sein größter Fan erweist, das Manuskript seines neuen Romans lesen. Doch Annies anfängliche Begeisterung schlägt in brennenden Hass um, als sie das Ende mit Miserys Tod gelesen hat. Während die besorgte Verlegerin den örtlichen Sheriff McCain (Richard Farnsworth) darum bittet, nach ihrem vermissten Klienten zu suchen, zwingt Annie ihren hilflosen Gast, einen neuen Misery-Roman zu schreiben. McCain und seine Frau (Frances Sternhagen) können den vermissten Schriftsteller nicht finden, vermuten aber, dass er während des Unwetters einen Unfall gehabt haben und erfroren sein könnte …
Bevor Rob Reiner 1986 mit „Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers“ eine Novelle des Bestseller-Autors Stephen King adaptierte, hatten namhafte Regisseure wie Brian De Palma („Carrie: Des Satans jüngste Tochter“, 1976), Stanley Kubrick („Shining“, 1980), David Cronenberg („Dead Zone – Der Attentäter“, 1983) und John Carpenter („Christine“, 1983) erfolgreich das Grauen aus Kings Büchern auf die Leinwand gebracht, wohingegen Reiner mit „Stand by Me“ eine berührende Coming-of-Age-Story inszenierte und sich vier Jahre später an einer weiteren King-Story versuchte, die ebenfalls durch eine sorgfältige Charakterisierung der Hauptfiguren überzeugt.
Mit „Misery“ ist ihm eine außergewöhnliches, nahezu kammerspielartiges Horror-Stück gelungen, das vor allem durch seine beiden großartig aufspielenden Darsteller überzeugt. Zwar werden mit der Verlegerin und dem älteren Sheriffs-Ehepaar auch einige wenige weitere Figuren eingeführt, doch das Geschehen konzentriert sich eindeutig auf Annie Wilkes‘ Zuhause.
Sieht man einmal von der Vorstellung ab, wie Annie den nicht gerade zu kurz gekommenen Schriftsteller aus dem Autowrack geborgen und nach Hause gebracht haben soll, und auch von der Wahrscheinlichkeit, dass sich ein berühmter Schriftsteller hilflos in der Gewalt seines vermeintlich größten Fans befindet, spielt Reiner nach einem Drehbuch von William Goldman („Die Unbestechlichen“, „Der Marathon-Mann“) gekonnt den Psycho-Krieg zwischen einem hilflosen Schriftsteller und einer außer Rand und Band geratenen Liebhaberin seiner Werke aus. Vor allem Kathy Bates („Grüne Tomaten“, „Dolores“) brilliert als zunächst liebenswürdige Krankenschwester und glühende Verehrerin, die sich zu einer lebensbedrohlichen Furie entwickelt, als sie vom Tod ihrer literarischen Heldin erfährt. James Caan („Der Pate“, „Eraser“) schlägt sich wacker als erst dankbarer, dann zunehmend verzweifelter Zwangsgast in Annies Obhut, dessen Bemühungen, seinem Gefängnis zu entfliehen, immer wieder von der ebenso cleveren wie bösartigen Annie zunichte gemacht werden.
Das Grauen, das der ans Bett gefesselte Schriftsteller erlebt, wird auch für den Zuschauer immer größer, sobald Paul bewusst wird, dass Annie ihn mit allen Mitteln in ihren Fängen behalten will, bis er ein versöhnlicheres Schicksal für Misery gefunden hat.
Die Brutalität, mit der sie ihrem Opfer diverse Schmerzen zufügt, potenziert sich bis zum packenden Finale zwischen den beiden. Schade ist nur, dass den beiden großartigen Schauspielern Richard Farnsworth („The Straight Story“) und Frances Sternhagen („Emergency Room“) als kauzig-liebenswertes Sheriffs-Paar nicht mehr Leinwandzeit eingeräumt wurde. Davon abgesehen zählt „Misery“ aber bis heute zu den definitiv besten Stephen-King-Verfilmungen. 
"Misery" in der IMDb

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