Der Chef - Un Flic

Ein Jahr vor seinem Tod brachte der französische Filmemacher Jean-Pierre Melville 1972 mit „Der Chef – Un Flic“ sein letztes großes Meisterwerk in die Kinos. Einmal mehr präsentierte sich der Meister des düsteren Gangsterfilms als perfektionistischer Individualist, der in seinem letzten Film nicht nur erneut seine Vorliebe für das amerikanische Kino zum Ausdruck brachte, sondern seinen Star Alain Delon erstmals auf der guten Seite des Gesetzes agieren ließ.
Nach dem Überfall auf eine Filiale der Pariser Nationalbank nimmt Kriminal-Kommissar Edouard Coleman (Alain Delon) die Ermittlungen auf. Was er nur ahnt, aber nicht beweisen kann, dass sein alter Freund, der Pariser Nachtclubbesitzer Simon (Richard Crenna), hinter dem ausgetüftelten Coup steckt. Zudem lieben beide die wunderschöne Cathy (Catherine Deneuve).
Während Coleman durch einen Informanten der Bande allmählich auf die Spur kommt und eine Verbindung zu Simons Nachtclub entdeckt, heckt dieser bereits den nächsten großen Coup aus. Bereits die Eröffnungsszene macht einmal mehr deutlich, wie sehr Jean-Pierre Melville den amerikanischen Gangsterfilm schätzt, wenn die vier Bankräuber in Trenchcoats aus einem amerikanischen Wagen steigen, bevor sie nacheinander bei Sturm und Regen die Filiale betreten. Die Story hätte auch von Raymond Chandler oder Dashiell Hammett stammen kommen, nur kommt Melville bei seinem fesselnden Krimi-Drama fast ohne Dialoge aus, besonders eindrucksvoll in der einen Szene, als Simon, Coleman und Cathy in Simons Nachtclub nur über Blickkontakt miteinander kommunizieren. Vor allem Alain Delon, der seinen internationalen Durchbruch in Melvilles „Der eiskalte Engel“ (1967) feierte und sich bei Vorlage von Melvilles Drehbuch entscheiden durfte, ob er den Cop oder wieder den Gangster spielen möchte, überzeugt als wortkarger, undurchsichtiger Kommissar, der allein mit seinem durchdringenden Blick (manchmal auch durch eine schallende Ohrfeige unterstützt) die Menschen zum Reden bringt.
Natürlich fesselt „Der Chef“ auch allein durch seine Story und den spektakulären Coup, bei dem erstmals in der Filmgeschichte ein Helikopter über einer Eisenbahn zum Einsatz kommt, aber es ist vor allem die geheimnisvolle Beziehung zwischen den Coleman, Simon und Cathy, über die nie gesprochen wird und über deren wahre Natur der Zuschauer nur spekulieren kann, die den außergewöhnlichen Reiz von Melvilles letzten Film ausmacht.
In der knapp halbstündigen Dokumentation zum Film, die als Bonus auf der Blu-ray zu finden ist, beschreibt Alain Delons Bruder und Melvilles erster Regieassistent Jean-François Delon, wie sie sich zur Vorbereitung auf den Film zunächst nur amerikanische Filme angesehen hätten, aber Melvilles Spätwerk unterscheidet sich von den großen Vorbildern vor allem darin, dass seine Figuren so ausdruckslos, ohne Leben und Leidenschaft in einer ebenso unwirklichen Welt wirken.
In der „Jean-Pierre Melville Edition“, die StudioCanal nun zum 100. Geburtstag des filmhistorisch ersten auteur complet veröffentlicht hat, sind neben „Der Chef“ auch „Das Schweigen des Meeres“ (1949), „Die schrecklichen Kinder“ (1950), „Und keine blieb verschont“ (1953), „Drei Uhr nachts“ (1956), „Zwei Männer in Manhattan“ (1959), „Eva und der Priester“ (1961), „Der Teufel mit der weißen Weste“ (1962), „Armee im Schatten“ (1969) und „Vier im roten Kreis (1970)“ enthalten.
"Der Chef" in der IMDb

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