Der Mann, der Liberty Valance erschoss

Bereits mit seinen ersten Kurzfilmen, die er 1917 zu drehen begann, erschloss sich Regie-Legende John Ford („Rio Grande“, „Der schwarze Falke“) das Western-Genre. 1962 lieferte er mit „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ nicht nur einen beeindruckenden Spät-Western, sondern vereinte auch die beiden so unterschiedlichen Western-Stars John Wayne und James Stewart vor der Kamera.
Der bekannte US-Senator Ransom Stoddard (James Stewart) und seine Frau Hallie (Vera Miles) kommen in die Kleinstadt Shinbone, um einen alten Freund zu beerdigen: Tom Doniphon. Da sich der Chefredakteur der örtlichen Zeitung nicht vorstellen kann, dass Stoddard nur wegen einer Beerdigung den weiten Weg aus Washington angetreten hat, bittet er um ein Interview. Stoddard tut ihm den Gefallen und erzählt eine Geschichte, die außer ihm so niemand kennt: Als junger Anwalt wird Stoddard auf seiner Fahrt nach Shinbone von dem berüchtigten Ganoven Liberty Valance (Lee Marvin) überfallen und misshandelt. Der raubeinige Cowboy Tom Doniphon (John Wayne) findet den Verwundeten und bringt in die Stadt zum Ehepaar Ericson (John Qualen und Jeanette Nolan), in dessen Restaurant er sich als Tellerwäscher nützlich macht. Dabei wird er auch von der hübschen Bedienung Hallie umsorgt, für die Doniphon gerade sein Haus erweitert, doch muss er mitansehen, wie sich seine Herzensdame in den rechtschaffenen, etwas unbeholfen wirkenden Anwalt verliebt. Noch ist Stoddard überzeugt davon, Valance mit Recht und Ordnung beizukommen, doch Sheriff Appleyard (Andy Devine) ist ebenso gefräßig wie faul und feige, so dass Valance nicht umhin kommt, die Konfrontation mit seinem Peiniger auf andere Weise zu suchen …
Indem John Ford „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ mit einer sehr düsteren und schwermütigen Todeswache beginnen lässt, die alle Beteiligten in tiefer Trauer präsentiert, gelingt dem Meisterregisseur ein emotional berührender Auftakt, der das Publikum gleich emotional gefangen nimmt. In der Rückschau beschreibt Stoddard aus seiner Perspektive letztlich gar nicht, wie der Betrauerte gestorben ist, sondern wie sich Stoddard und Doniphon kennengelernt haben. Dabei scheinen die beiden Männer zunächst nicht viel gemeinsam zu haben – außer dass sie ihr Herz beide an Hallie verloren haben. Während Stoddard eher der vernünftige, besonnene Typ ist, der Hallie und weiteren Shinebone-Bürgern das Lesen und Schreiben beibringt, trinkt der temperamentvolle Doniphon schon mal gern einen über den Durst und legt sich mit jedem an, der ihm irgendwie dumm kommt. Trotz ihrer unterschiedlichen Wesensart respektieren die Männer einander und freunden sich an, bis die Eskalation in der Begegnung zwischen Stoddard und Valance eine Legende begründet, die den Senator bis heute verfolgt.
John Fords gefühlvoller Spät-Western überzeugt nicht nur durch seine stilvolle Inszenierung in kontrastreichen, stimmungsvollen Schweiß-Weiß-Bildern von William H. Clothier („Rio Lobo“, „Big Jake“) und den einfühlsamen Score von Cyril Mockridge („Fluss ohne Widerkehr“, „Flammender Stern“), sondern auch durch die sehenswerten Darstellerleistungen. James Stewart („Meuterei am Schlangenfluss“, „Der gebrochene Pfeil“) lässt die Last des Gewissens, die auf seiner Figur liegt, deutlich spüren, und John Wayne („Der Marshal“, „Alamo“) darf in seiner Rolle auch Herz unter seiner harten Schale zeigen, während Vera Miles („Psycho“, „Der schwarze Falke“) als Frau zwischen zwei so unterschiedlichen Männern für die gefühlvollen Momente sorgt. Dazu darf Andy Devine als tölpelhafter Sheriff humoristische Elemente beisteuern, Lee Marvin („Das dreckige Dutzend“, „Die gefürchteten Vier“) überzeugend den Bösewicht mimen. Lee Van Cleef und John Carradine runden mit ihren Kurzauftritten den starken Cast wunderbar ab.
„Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ präsentiert sich als stimmungsvoller Abgesang auf den Wilden Westen und macht deutlich, dass die Revolverhelden aussterben und die Zivilisation ihren Siegeszug antritt, dass Demokratie, Urbanisierung und Fortschritt nicht mehr aufzuhalten sind und eine neue Zeit einläuten.
"Der Mann, der Liberty Valance erschoss" in der IMDb

Kommentare

Beliebte Posts