Hundstage
Mit seinem 1957 realisierten Regiedebüt „Die zwölf Geschworenen“ heimste Sidney Lumet (1924-2011) gleich drei Oscar-Nominierungen ein und entwickelte sich vor allem in den 1970er Jahren zu einem ebenso produktiven wie meisterhaften Regisseur von Filmen wie „Sein Leben in meiner Gewalt“, „Network“, „Fliehende Pferde“ und „Serpico“. Nach seinem sehenswerten Auftritt in Coppolas „Der Pate“ bot sich in „Serpico“ (1973) für Al Pacino die nächste Gelegenheit, als einer der besten Darsteller seiner Generation zu glänzen. Zwei Jahre darauf kam es mit „Hundstage“ zur nächsten bemerkenswerten Zusammenarbeit zwischen Lumet und Pacino, zählt der auf wahren Begebenheiten beruhende Film doch bis heute zu den besten Werken sowohl des Regisseurs als auch des Schauspielers.
Es ist drückend heiß am 22. August 1972 in Brooklyn, ein heißer Sommertag. Kurz bevor die First Brooklyn Savings Bank schließt, betreten Sonny (Al Pacino), Sal (John Cazale) und Stevie (Gary Springer) das Gebäude und bedrohen das Personal mit ihren Waffen. Doch Stevie sieht sich dem Job nicht gewachsen. Da er den alten Wachmann nicht mit der Waffe bedrohen kann, zieht er die Reißleine, überlässt Sonny wenigstens noch die Fluchtwagenschlüssel. Die größere Enttäuschung erwartet Sonny allerdings nach dem Betreten des Tresorraums, denn da der Großteil der Barbestände schon abgeholt worden ist, findet Sonny, der selbst mal in einer Bank gearbeitet hat, nur magere 1100 Dollar vor.
Sonny lässt sich noch die nicht markierten Scheine an den Bankschaltern aushändigen und verbrennt das Register, zieht jedoch damit die unerwünschte Aufmerksamkeit des Versicherungsvertreters von gegenüber auf sich. Als Sonny und Sal die Bank verlassen wollen, sind jedoch die Cops schon vor Ort. Unter dem Kommando von Detective Sergeant Eugene Moretti (Charles Durning) stehen über zweihundert Polizisten vor der Bank und es werden von Minute zu Minute mehr. Moretti steht unter besonders großem Druck, die Geiselnahme friedlich zu beenden, denn vor nicht allzu langer Zeit starben bei einer ähnlichen Aktion in Attica fast fünfzig Menschen.
Sonny macht sich die Vorfälle in Attica für seine eigene Sache zunutze und versteht es, sowohl die Geiseln als auch die Öffentlichkeit für sich einzunehmen. Während des stundenlangen Belagerungszustands versagt nicht nur die Klimaanlage, sondern macht die drückende Hitze vor allem den gesundheitlich angeschlagenen Angestellten zu schaffen, vor allem dem asthmatischen Schließer und dem an Diabetes leidenden Manager Mulvaney (Sully Boyar). Doch auch als Moretti einen Kontakt zwischen Sonny und Stevie, dem Sonny mit dem Bankraub eine Geschlechtsumwandlung finanzieren wollte, herzustellen versucht, gibt Sonny nicht klein bei. Nun soll das FBI dafür sorgen, dass Sonny und Sal mit den Geiseln zum Kennedy Flughafen gebracht werden…
Kritik:
Lumets „Hundstage“ basiert auf dem Bankraub, den der 27-jährige Vietnamveteran John Wojtowicz und der 18-jährige Salvatore „Sal“ Naturale am 22. August 1972 auf die Chase Manhattan Bank in Brooklyn, New York, verübten und dabei den Geschäftsführer sowie mehrere Bankangestellte in ihre Gewalt brachten. Die Geiselnahme dauerte nicht nur über 14 Stunden, sondern wurde zu einem medialen Großereignis, das von vielen Menschen live am Fernsehbildschirm mitverfolgt wurde.
P. F. Kluge und Thomas Moore veröffentlichten kurze Zeit darauf im Life Magazine den Artikel „The Boys in the Bank“, der die Geschehnisse rekonstruierte und mehrere der Geiseln zu Wort kommen ließ.
In seiner filmischen Adaption der Ereignisse versucht Lumet, einen dokumentarischen Charakter zu bewahren. Zusammen mit seinem Kameramann Victor J. Kemper („Der letzte Countdown“, „… und Gerechtigkeit für alle“) fängt er zunächst von Elton Johns „Amoreena“ untermalte Straßenszenen ein, um dann mit dem Beginn der eigentlichen Geschichte völlig auf Musik zu verzichten und sich kammerspielartig auf die Kulissen in der Bank, auf der Straße und im Frisörsalon auf der gegenüberliegenden Seite zu beschränken.
Im Mittelpunkt steht natürlich die von Al Pacino eindringlich gespielte Figur des Vietnam-Veteranen Sonny, der mit der Situation des Überfalls zunächst völlig überfordert ist, dann aber zunehmend geschickt sowohl mit den Geiseln als auch der Polizei und der Öffentlichkeit umzugehen versteht. Lumet ist mit der Kamera stets dicht bei Sonny, der in einer unglücklichen Ehe lebt und seine Homosexualität nicht offen ausleben kann, seinem Freund aber wenigstens die erwünschte, gut 2500 Dollar teure Geschlechtsumwandlung ermöglichen will. Pacino verkörpert Sonny mit einer emotional packenden Eindringlichkeit, die die Träume und Ängste, die Wut und Empathie seiner Figur großartig austariert.
Die spürbar hitzige, teils klaustrophobische Atmosphäre, die pointierte Inszenierung und die starken Darsteller machen „Hundstage“ zu einem der besten Geiselnehmer-Filme aller Zeiten.
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