Im Herzen der See
Mit Filmen wie „Backdraft – Männer, die durchs Feuer gehen“ (1991), „Apollo 13“ (1995), „Kopfgeld – Einer wird bezahlen“ (1996), „The Missing“ (2003) und „The Da Vinci Code – Sakrileg“ (2006) hat Ron Howard bewiesen, dass er ein exzellenter Regisseur für spannende Stoffe ist. 2015 nahm er sich Herman Melvilles bereits vielfach und auch hochklassig verfilmten Klassiker „Moby Dick“ vor, veränderte aber mit „Im Herzen der See“ die Erzählperspektive der Jagd auf den monströs riesigen weißen Wal.
Für seinen neuen Roman reist der Schriftsteller Herman Melville (Ben Whishaw) nach Nantucket und sucht den letzten Überlebenden des 1820 dort in See gestochenen und nie zurückgekehrten Walfangschiffs Essex auf, Thomas Nickerson (Brendan Gleeson), um von ihm die Hintergründe zur Geschichte der schicksalhaften Mission des Dreimasters zu erfahren. Nickerson gehörte als Jugendlicher zur Besatzung des Walfängers und stimmt erst auf Drängen seiner Frau (Michelle Fairley) zu, sich die Geschichte von der Seele zu reden, schließlich bietet ihnen der junge Schriftsteller auch eine Menge Geld an, das sie gut gebrauchen können. Nickerson macht zu Beginn seiner Erzählung gleich klar, dass das Schicksal der Essex vor allem die Geschichte des Konflikts zwischen dem ambitionierten, erfahrenen Seemann Owen Chase (Chris Hemsworth) und dem durch seine Herkunft privilegierten, aber kaum profilierten Kapitän George Pollard (Benjamin Walker) sei. Als sich Chase im Jahr 1820 von seiner schwangeren Frau Peggy (Charlotte Riley) verabschiedet, rechnet er damit, wie versprochen das Kommando über die Essex übertragen zu bekommen, doch stattdessen sorgt die einflussreiche Familie von Kapitän George Pollard (Benjamin Walker) dafür, dass ihr Sprössling seine Bewährungsprobe erhält. Das von Beginn an angespannte Verhältnis zwischen Chase und Pollard spitzt sich zu, als Pollard trotz der eindringlichen Warnung von Chase die Essex einem Sturm aussetzt, der gleich mehreren Seeleuten das Leben kostet. Als das Schiff in Ecuador repariert und mit Proviant gefüllt wird, lassen sich Pollard und Chase von dem Kapitän (Jordi Mollà) des spanischen Walfängers Santa-Maria dazu überreden, sich zu den jenseits allen Festlandes gelegenen Hochseefanggründen zu begeben, in denen sich die Pottwale regelmäßig versammeln. Dort gebe es zwar eine Unmenge an Walen, doch würden diese von einem dämonischen weißen Wal beschützt, der sein Schiff zerstört und sechs seiner Männer getötet habe. Die Offiziere der Essex schlagen die Warnungen des Spaniers in den Wind und wagen sich von der Gier getrieben in den Mittelpazifik. Dort müssen sie am eigenen Leib erfahren, dass der riesige Wal, von dem der Spanier sprach, kein Ammenmärchen gewesen ist…
Kritik:
Denkt man an die Verfilmungen von Melvilles 1851 veröffentlichten Roman „Moby Dick“, kommen einem vor allem John Hustons gleichnamiges Meisterwerk aus dem Jahr 1956 mit einem großartigen Gregory Peck in der Hauptrolle des Kapitäns und die ebenfalls gleichnamige Fernseh-Mini-Serie mit Patrick Stewart und Ethan Hawke aus dem Jahr 2010 in den Sinn. Statt sich direkt auf Melvilles klassische Romanvorlage zu beziehen, diente Ron Howard Nathaniel Philbricks Roman „Im Herzen der See. Die letzte Fahrt des Walfängers Essex“ als Grundlage für seinen Film. Im Gegensatz zu der hier erzählten Geschichte hat Melville allerdings nie einen Überlebenden der Essex-Mannschaft getroffen, sondern lernte nur den Sohn von Owen Chase kennen, erst ein Jahr nach dem Erscheinen von „Moby Dick“ auch den damaligen Kapitän George Pollard.
Was an „Im Herzen der See“ sofort positiv auffällt, ist die stimmige Atmosphäre, die Kameramann Anthony Dod Mantle („Slumdog Millionär“, „Der letzte König von Schottland“) mit seinen gelb- und grüntönigen Bildern schafft und so das Publikum lebhaft teilhaben lässt an den Bedingungen, unter denen die Seeleute Anfang des 19. Jahrhunderts auf Walfang gegangen sind. Doch davon abgesehen lebt Howards „Moby Dick“-Erzählung vor allem von der Rivalität zwischen Pollard und Chase und dem mehrmonatigen Überlebenskampf der Essex-Crew auf dem Meer, nachdem der große Wal das Schiff zu Kleinholz verarbeitet hat.
Psychologische Tiefe gewinnt das Drama selbst nach dem tödlichen Sturm nicht, zumal der Erzählfluss immer wieder durch die Rückkehr zur Rahmenhandlung gehemmt wird, in der Melville Näheres zu den geschilderten Ereignissen in Erfahrung bringen will. Das ist alles bildgewaltig inszeniert, kommt dem Mythos um Moby Dick aber nie auf den Grund. Die tödliche Rivalität zwischen dem Kapitän der Essex und dem Wal wird nahezu ausgespart. Dafür fehlt dem jungen Pollard als Kapitän auch das nötige Charisma.
Wer sich für die Geschichte von „Moby Dick“ interessiert, ist also mit den oben erwähnten Verfilmungen weit besser bedient als mit Howards ästhetisch gelungenen, dramaturgisch aber recht schlaffen Versuch, „Moby Dick“ neue Perspektiven abzugewinnen.
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