Das Gespenst der Freiheit

Auf dem Weg zu ihrem sterbenskranken Vater wird eine junge Frau im Wald von einem Panzerfahrzeug angehalten und nach Füchsen gefragt, die ihr vielleicht unterwegs begegnet seien. Da bei dem starken Regen die Durchfahrt eines Ortes gesperrt ist, macht sie in einem kleinen Gasthaus Rast, wo auch eine Gruppe von Mönchen das Unwetter aussitzt. Sie bieten der jungen Frau an, gemeinsam mit ihr für die Genesung des kranken Vaters zu beten, und beschließen den Abend mit einem Kartenspiel. 
In einem anderen Zimmer versucht währenddessen ein hübscher Jüngling seine wesentlich ältere Tante zu verführen, die aber noch nie von einem Mann berührt worden ist und sich deshalb weigert, den amourösen Bedürfnissen ihres Neffen entgegenzukommen. Eine weitere Episode spielt sich in der Polizeischule ab, wo der Vortrag über die Verschiedenheit von sexuellen Praktiken in unterschiedlichen Kulturkreisen immer wieder durch Schießübungen und Alarme unterbrochen wird. Schließlich muss sich der Polizeipräfekt mit einem in der Schule vermissten Mädchen auseinandersetzen, das sehr wohl an Ort und Stelle ist und auch von allen Beteiligten wahrgenommen wird, doch beharren sie auf Verfolgung der einmal eingeleiteten Vermisstenanzeige. Ein Ehepaar nimmt schockiert zur Kenntnis, dass die Tochter von einem fremden Mann anstößige Fotos geschenkt bekommen hat, die - wie sich herausstellt - aber nur Pariser Sehenswürdigkeiten zeigen. Außerdem nehmen bei einem Diner die Anwesenden Platz auf Toiletten und streiten über die steigende Umweltverschmutzung. Zum Essen ziehen sich die Gäste aufs stille Örtchen zurück. 
Luis Buñuel hat in seinem 1974 inszenierten Film „Das Gespenst der Freiheit“ einmal mehr einer klassischen Erzählform des Kinos entzogen und einen bunten Reigen lockerer Episoden aneinandergefügt, die mal durch eine bereits vorgestellte Person eingeführt wird, dann durch eine andere in die nächste Geschichte ihre Fortsetzung findet oder auch ganz ins Nichts führt. Vertraute surrealistische Elemente, die Buñuels Frühwerke ausgezeichnet haben, tun ihr Übriges, die Sehgewohnheiten des Publikums zu durchbrechen, wenn etwa der unruhige Schlaf eines Mannes mit exotischen Tieren und einem Postboten bevölkert wird, die zu jeder vollen Stunde das Schlafzimmer betreten. Es passt zu Buñuels ganz speziellem Humor, dass er seinen Film, der nach einem Satz aus dem Kommunistischen Manifest von Karl Marx betitelt ist, mit dem historischen Aufstand in Madrid von 1808 beginnt, in dessen Zuge sich die Spanier freiwillig unter das Joch von König Fernando VII. begeben haben und bei dem einige Widerständler erschossen werden, darunter auch der Regisseur selbst und der Produzent Serge Silberman
Mit seinem luftig-leicht inszenierten Reigen nimmt Buñuel erneut die starren Konventionen des Bürgertums aufs Korn und entpuppt ihre Auffassung von Freiheit als pure Illusion. Nachdem der Film bereits in der zehn DVDs umfassenden „Luis Buñuel Edition“ von Kinowelt veröffentlicht wurde, ist er nun zusammen mit „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ und „Dieses obskure Objekt der Begierde“ in 3er Box „Luis Buñuel Arthaus Close-up“ erhältlich.  

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