Jackie Brown
Quentin Tarantino erzählt gern, dass er seit jeher ein großer Fan des Krimi-Autors Elmore Leonard sei und als Jugendlicher dessen Roman "The Switch" in einem Supermarkt geklaut habe. Nachdem er sich mit "Reservoir Dogs" (1992) und "Pulp Fiction" (1994) als grandioser Drehbuchautor und Filmemacher etablieren konnte, versuchte er sich mit "Jackie Brown" an der Adaption des komplexen Leonard-Romans "Rum Punch". Einmal mehr erwies Tarantino einem Filmgenre seine Referenz, diesmal den Blaxploitation-Filmen der 70er Jahre, und besetzte die Hauptrolle mit einem Aushängeschild des Genres: Pam Grier.
In der langen Eröffnungssequenz heftet sich die Kamera dicht an ihre Figur, eine Stewardess, die in ihrer blauen Cabo-Air-Uniform zu den Klängen von Bobby Womacks "Across 110th Street" auf einem Rollband durch den Los Angeles International Airport schwebt.
Ordell Robbie (Samuel L. Jackson) ist ein ganz Großer im Waffenschmuggelgeschäft. Voller Stolz führt er in der von ihm finanzierten Wohnung seiner Bikini-tragenden Freundin Melanie (Bridget Fonda) seinem gerade aus dem Knast entlassenen Kumpel Louis Gara (Robert de Niro) den Fernsehspot "Chicks who love Guns" vor, in der ebenfalls Bikini-tragenden Frauen die Vorzüge verschiedener Automatikwaffen präsentieren. Ordell erzählt gerade von den 500.000 Dollar, die er mittlerweile aus seinen Geschäften in Mexiko zur Seite geschafft hat, da erhält er einen Anruf, dass Beaumont (Chris Tucker), einer seiner Helfer, mit einer Waffe betrunken am Steuer von der Polizei aufgegriffen und eingebuchtet wurde. Ordell beauftragt den routinierten Kautionsvermittler Max Cherry (Robert Forster), damit dieser die 10.000 Dollar Kaution für Beaumont hinterlegt, nur damit Ordell Beaumont als unliebsamen Zeugen liquidieren kann.
Wenig später schlägt Ordell erneut bei Cherry auf, diesmal soll er die Stewardess Jackie Brown (Pam Grier) auslösen, nachdem Detective Sergeant Mark Dargus (Michael Bowen) vom Los Angeles Police Department und Special Agent Ray Nicolet (Michael Keaton) von der Abteilung Alkohol, Tabak und Feuerwaffen am Flughafen 50.000 Dollar in bar und ein Tütchen Kokain bei ihr gefunden hatten. Als Cherry die 44-jährige Frau vor dem Gefängnis in Empfang nimmt. Er schlägt Jackie vor, sich auf einen Deal mit dem LAPD einzulassen, gleichzeitig schlägt sie auch Ordell einen Deal vor, nachdem er erfolglos versucht hat, auch sie zu beseitigen. Insgeheim will sie sich aber mit dem von Ordell ergaunerten Geld ein neues Leben aufbauen ...
Tarantino hat gar nicht erst versucht, nach seinem grandiosen Erfolg mit "Pulp Fiction" ein ähnlich strukturiertes Gangster-Epos zu schaffen. Zwar schuf er mit "Jackie Brown" einen weiteren Zweieinhalb-Stunden-Film, doch sind die Handlungsstränge viel überschaubarer, die Inszenierung viel gelassener. So nimmt sich Tarantino viel Zeit, seine Figuren vorzustellen, wobei er wieder mit einigen Besetzungscoups aufwartet. Mit Samuel L. Jackson hat er noch einen seiner "Pulp Fiction"-Stars am Start, überraschend fallen dagegen einige der anderen Rollen aus. Vor allem Robert De Niro verblüfft mit seiner geradezu lethargischen Darstellung von Ordells Kumpel Louis, während Tarantino Bridget Fonda ("Weiblich, ledig, jung sucht ...", "Codename: Nina") ebenso aus der Versenkung holte wie Robert Forster ("Mulholland Drive", "Confidence"). Die eigentliche Sensation ist aber natürlich Blaxploitation-Queen Pam Grier, der Tarantino ein einzigartiges Denkmal setzt.
Es überrascht daher nicht, dass sie am Ende über all jene triumphiert, die ihr irgendwie das Handwerk legen wollen, nur weil sich die schlecht verdienende Stewardess am Ende ihrer Karriere mit den falschen Leuten eingelassen hat. Tarantino bleibt überraschend eng an der Romanvorlage und demonstriert mit "Jackie Brown" sein Talent, vertraute Genres in neuem Licht erscheinen zu lassen. Authentisch wirkende Figuren, ein cooler 70er-Jahre-Soundtrack und gewohnt fein geschliffene, amüsante Dialoge machen den Film zu einem weiteren Meilenstein in Tarantinos Œuvre.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen