Die Hörige

Dass das Werk des schwedischen Ausnahmeregisseurs Ingmar Bergman (1918-2007) ganz eng mit seinem Leben verknüpft ist, dass Bergman in seinen Filmen vorrangig die Themen bearbeitete, die ihn selbst stark beschäftigt haben, gilt als weithin bekannte Tatsache. Seine strenge religiöse, züchtigende Erziehung machte sich vor allem in seinen Frühwerken bemerkbar, u.a. in dem 1944 realisierten Film „Die Hörige“. Es war das erste Drehbuch von Ingmar Bergman, das verfilmt wurde, und zwar von dem renommierten Theaterregisseur Alf Sjöberg. Dieses dramatische Frühwerk ist nun bei Arthaus sowohl als Einzeltitel als auch in der „Ingmar Bergman Edition 3“ erhältlich.
Der zurückhaltende Gymnasiast Jan-Erik Widgren (Alf Kjellin) steht kurz vor dem Abitur, aber auch vor einer scheinbar unüberwindbaren Hürde in Gestalt seines Lateinlehrers (Stig Järrel). Der wegen seiner sadistischen Lehrmethoden von den Schülern nur als „Caligula“ bezeichnete Pädagoge statuiert an dem jungen Mann regelmäßig ein Exempel und lässt keine Gelegenheit aus, die Faulheit seines Lieblingsopfers herauszustellen. Seine wohlhabenden Eltern sind dem Jungen keine große Hilfe und pochen eher darauf, dass Jan-Erik die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt. Als er eines Nachts die betrunkene Tabakverkäuferin Bertha (Mai Zetterling) nach Hause begleitet, erfährt Jan-Erik, dass das Mädchen ebenfalls von einem Sadisten gequält wird. Die beiden gehen eine Beziehung ein, doch der drohende Schatten des unbekannten Peinigers setzt dem jungen Paar mächtig zu. Während Jan-Erik seine Freundin nicht mit dem schrecklichen Unbekannten teilen will, ertränkt Bertha ihre Verzweiflung im Alkohol …
Obwohl Bergman „nur“ das Drehbuch zu „Die Hörige“ schrieb, gilt der Film als sein erster Film. Nachdem der im Original treffender „Hets“ (Gluthitze) betitelte Film 1946 auf dem ersten Cannes-Festival ausgezeichnet wurde und ein Jahr später auch bei den Filmfestspielen von Venedig gelaufen war, stand Bergmans Karriere als Filmemacher nichts mehr im Wege. Dass der Film erst zwanzig Jahre später in Deutschland zu sehen war, muss dem Umstand geschuldet sein, dass die Filmfigur Caligulas als Nazisympathisant angelegt war und deutliche Züge von Heinrich Himmler trug. Bergman beschränkt sich bei seinem Drehbuchdebüt nicht allein auf den Sadismus zwischen Lehrer und Schüler, sondern transportiert ihn auch auf eine ganz persönliche Ebene in der Beziehung zwischen der zarten Bertha und ihm viel älteren Peiniger. Der Übeltäter sieht sich dabei selbst in einer Opferrolle. Als Caligula auch außerhalb der Schule nachstellt, wird er nicht müde, von seiner Krankheit zu berichten, die noch immer seine Nerven zerrüttet.
Obwohl Bergman sein Drama stark psychologisiert hat, beschränkt er sich eher auf simple Erklärungen und dringt kaum in die emotionalen Tiefen seiner Figuren ein. Vor allem das Verhältnis zwischen dem idealistischen Gymnasiasten und seinen Eltern wird nur angedeutet, die pädagogischen Bedenken gegenüber Caligulas drastischen Lehrmethoden innerhalb des Schulsystems nur kurz erwähnt. Doch die Schwächen in der Figurenausarbeitung und ihren Konstellationen wird wettgemacht durch die starken Darstellerleistungen und die außerordentlich stimmige Schwarz-Weiß-Inszenierung. Das lässt auch das etwas kurios anmutende Happy-End verschmerzen, das nach den vorangegangenen Ereignissen nicht allzu schlüssig erscheint.
"Die Hörige" in der IMDb

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