Das Glück der großen Dinge

Mit seinem bereits 1897 veröffentlichten Roman „What Maisie Knew“ hat der amerikanische Schriftsteller Henry James (1843-1916) ein offensichtlich zeitloses Werk geschaffen. Während die meisten Filmadaptionen seiner Romane („Die Flügel der Taube“, „Die Damen aus Boston“, „Die Europäer“, „The Golden Owl“) in der Regel auch in der Zeit spielten, die der literarischen Vorlage entsprach, haben die Regisseure Scott McGehee und David Siegel die nach wie vor extrem aktuelle Geschichte eines kleinen Mädchens, das unter der Scheidung seiner Eltern zu leiden hat, ins heutige New York verlegt.
Eigentlich könnte sich die sechsjährige Maisie (Onata Aprile) glücklich schätzen, so coole Eltern zu haben. Ihre Mutter Susanna (Julianne Moore) rockt trotz des schon leicht fortgeschrittenen Alters als Sängerin die Bühnen, ist aber leider ebenso selten zuhause wie ihr Vater Beale (Steve Coogan), der als Kunsthändler auch in Europa unterwegs ist. Als sich ihre Eltern scheiden lassen, kämpfen sie erbittert um das alleinige Sorgerecht und haben dabei keine Hemmungen, ihre Streitereien in Anwesenheit der Kleinen auszutragen und sie in ihre intriganten Schachzüge einzubinden. Beale gewinnt am Ende die Oberhand, nachdem er kurzerhand Maisies Kindermädchen Margo (Joanna Vanderham) geehelicht hat. Susanne versucht zwar zu kontern, indem sie den sympathischen Barkeeper Lincoln (Alexander Skarsgård) heiratet, doch mehr Zeit mit ihrer Tochter verbringen beide Elternteile nicht. Stattdessen überlassen sie ihren frisch Angetrauten die Aufgabe, sich um Maisie zu kümmern, während sie selbst ihre beruflichen Karrieren verfolgen. Maisie versucht als gut erzogenes, ruhiges Mädchen, das Beste aus der Patchwork-Situation zu machen und genießt die Zeit mit Margo und Lincoln immer mehr …
Mit seiner Henry-James-Adaption hat das eingespielte Regie-Duo Scott McGehee und David Siegel („Bee Season“, „Uncertainty“) einen tiefsinnigen wie humorvollen Indiefilm über das Aufwachsen eines jungen Mädchens in einem turbulenten Patchwork-Familien-Gefüge kreiert. Aus der Sicht der sympathischen Maisie wird deutlich, wie egoistisch und rücksichtslos sich die Erwachsenen ihr gegenüber verhalten. Sie beobachtet die Streitereien, wird nicht zur vereinbarten Zeit und nicht vom abgesprochenen Elternteil aus dem Kindergarten abgeholt und muss immer mal wieder zurückstecken, wenn sich die Pläne ihrer Eltern kurzfristig geändert haben.
All dieses – oft lautstarke - Hin und Her erträgt Maisie mit bewundernswerter Gelassenheit. Hier gebührt Maisie-Darstellerin Onata Aprile der größte Respekt. Obwohl sie ihre Gefühle kaum artikuliert, sondern meist nur beobachtet und in sich selbst zurückzieht, reicht ihr zwischen Traurigkeit und Hoffnung schwankender Gesichtsausdruck schon aus, um ihre Befindlichkeiten zu erahnen. Die Rollen der Patchwork-Familie sind ebenfalls überzeugend besetzt, allen voran Julianne Moore („Chloe“, „The Kids Are All Right“) als temperamentvolle, leicht durchgeknallte Rockröhre. „Das Glück der großen Dinge“ bietet bei aller problematischer Thematik und dem gebührenden Tiefsinn ein kurzweiliges Filmvergnügen, das von seinem gut aufgelegten Ensemble, der ungewöhnlichen Erzählperspektive und Nick Uratas („I Love You Phillip Morris“, „Ruby Sparks - Meine fabelhafte Freundin“) zart-verführerischen Score lebt.
"Das Glück der großen Dinge" in der IMDb

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