Der Elefantenmensch

Bevor David Lynch das Fernsehpublikum mit „Twin Peaks“ (1990/91) zugleich faszinierte und verstörte, hat er eine recht wechselhafte Filmkarriere hinter sich gebracht. Nach fünf experimentellen Kurzfilmen, die zwischen 1966 und 1974 entstanden sind, erwies sich Lynch mit seinem 1977 entstandenen Langfilmdebüt „Eraserhead“ als zumindest eigenwilliger Regisseur, der keine Anstalten zu machen schien, sich dem Mainstream anzubiedern. Insofern überraschte sein Zweitwerk „Der Elefantenmensch“, ein Drama, in dem das vermeintliche Monster weitaus humanere Züge aufweist als die Menschen, mit denen es konfrontiert wird.
Im Jahre 1881 ist John Merrick (John Hurt) die Attraktion der Freakshow, die unter Leritung des grausamen wie schmierigen Bytes (Freddie Jones) durch England zieht. Mit seinem riesigen deformierten Schädel, dem stark verkrümmten Rückgrat und den unansehnlichen Wucherungen am ganzen Körper lebt der „Elefantenmensch“ wie ein Tier in stallartigen Behausungen und wird geschlagen, wenn er nicht augenblicklich pariert. Als der britische Chirurg Frederick Treves (Anthony Hopkins) auf ihn aufmerksam wird, nimmt er ihn mit ins Hospital, um ihn näher zu untersuchen. Erst, als Treves nachweisen kann, dass Merrick nicht nur sprechen kann, sondern ein höchst empfindsames Wesen in sich birgt, erhält er die nötige Unterstützung von Vorgesetzten und Kollegen. Doch so einfach will Bytes seinen „Schatz“ nicht dem Hospital überlassen, und auch andere niedere Menschen haben Merrick als profitable Einnahmequelle für sich entdeckt …
Mit „Der Elefantenmensch“ ist David Lynch 1980 großes Kino gelungen. In atmosphärischen Schwarz-Weiß-Bildern, die Freddie Francis („Glory“, „Kap der Angst“) wunderbar eingefangen hat, erzählt er die wahre Geschichte der tragischen Figur John Merrick, der fast sein ganzes Leben unter unmenschlichen Bedingungen als Monstrosität vorgeführt worden ist und erst in der Obhut des bemühten Chirurgen Frederick Treves seine menschlichen Züge offenbaren darf. In dem Zusammenspiel der gepeinigten, in sich verschlossenen Seele, die in einem schrecklich anzusehenden Körper kaum wagt, sich zu offenbaren, und dem wohlwollenden Arzt, der mit Geduld und Freundlichkeit langsam einen Zugang zu seinem Patienten findet, weist der Film seine größte Stärke auf. Hier gebührt John Hurt („Alien“, „1984“) in der Rolle des „Elefantenmenschen“ ebenso große Anerkennung wie Anthony Hopkins („Magic“, „Audrey Rose“), beide am viel versprechenden Anfang ihrer Karriere.
Es ist schön anzusehen, wie John Merrick allmählich seine von Angst gezeichnete Zurückhaltung aufgibt und dem Doktor sein Vertrauen schenkt und sich immer wieder überschwänglich für die ihm entgegengebrachte Freundlichkeit bedankt. Darüber hinaus wartet der Film mit weiteren eindrucksvollen emotionalen Momenten auf, etwa Merricks erstem Besuch bei Treves und seiner Frau, die bei dem traurigen Schicksal ihres Besuchers hemmungslos in Tränen ausbricht, oder dem Besuch der berühmten englischen Theaterschauspielerin Mrs. Kendal (Anne Bancroft), die mit ihrem Gastgeber ein Passage aus „Romeo und Juliet“ improvisiert. Im Kontrast zu diesen zutiefst berührenden Szenen wird John Merrick aber immer wieder mit der grausamen Wirklichkeit konfrontiert, die seit jeher Teil seines Lebens gewesen ist, wenn er von geschäftstüchtigen Gaunern als bloßes Spaß- und Gruselobjekt vorgeführt wird. Dazu passen Merricks Traumsequenzen, in denen schwitzende Männerkörper an Maschinen arbeiten, Nebelschwaden durch feuchte Straßen ziehen und so das Zeitalter der Industrialisierung mit Leben füllen.
Zu den schönen Botschaften des Films zählt das Glück, das John Merrick zu empfinden in der Lage ist, die Freude über seine Freunde, sein im Hospital eingerichtetes Zuhause, die Genügsamkeit und Dankbarkeit, die seinem Wesen innewohnen. Am Ende stirbt der „Elefantenmensch“ als zufriedenes Wesen und lässt den Zuschauer tief berührt zurück. Schön, dass dieser Klassiker endlich auf Blu-ray erhältlich ist.
"Der Elefantenmensch" in der IMDb

Kommentare

Beliebte Posts