Nur noch 72 Stunden

Als Don Siegel 1968 „Nur noch 72 Stunden“ inszenierte, blickte er bereits auf eine über 20-jährige Karriere als Filmemacher zurück und präsentierte im selben Jahr mit „Coogans großer Bluff“ seine erste und wegweisende Zusammenarbeit mit Clint Eastwood. Während ihr gemeinsam realisierter Klassiker „Dirty Harry“ vor allem von Action geprägt war, lieferte er mit „Nur noch 72 Stunden“ ein Cop-Drama, das vor allem demonstriert, wie der Alltag im Polizeidienst Menschen und Ehen zerstört.
Detective Dan Madigan (Richard Widmark) und sein langjähriger Partner Rocco Bonaro (Harry Guardino) wollen den stadtbekannten Gauner Barney Benesch (Steve Inaht) zu einem Verhör aufs Polizeirevier mitnehmen und überraschen ihn in seiner Wohnung im Bett mit einem jungen Mädchen. Benesch nutzt die Gelegenheit, dass die beiden Cops durch die nackte Frau in seiner Wohnung abgelenkt sind, zur Flucht, wobei er den überrumpelten Cops auch noch die Waffen entwendet. Erst später erfahren Madigan und Bonaro, dass Benesch wegen Raubmords gesucht wird. Natürlich spricht sich dieses Fiasko in kürzester Zeit bis zum New Yorker Police Commissioner Anthony X. Russell (Henry Fonda) herum, der bereits genug andere Sorgen hat außer Polizisten, die zwar eine hohe Aufklärungsrate bei ihren Fällen aufweisen, sich aber durch ihre oft rabiaten Verhörmethoden immer am Rand der geltenden Gesetze bewegen. Während er dem eingespielten Team genau 72 Stunden gewährt, um Benesch wieder festzusetzen, plagen ihn die Vorwürfe, dass sein Freund, Chief Inspector Kane (James Whitmore), bestechlich sein könnte. Außerdem wirft ihm der prominente Geistliche Dr. Taylor (Raymond St. Jacques) vor, dass sein Sohn zu Unrecht wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt und Opfer rassistischer Gewalt seitens der Polizei geworden sei. Und schließlich droht auch seine verheiratete Geliebte, Tricia Bentley (Susan Clark), ihn zu verlassen. Während der für seine Unbestechlichkeit bekannte Commissioner sein Revier von allen Anschuldigungen befreit sehen möchte, stürzen sich Madigan und Bonaro wie besessen in die Arbeit. Das missfällt vor allem Madigans attraktiver Frau Julia (Inger Stevens), die eigentlich mehr vom Leben erwartet, als immer nur auf ihren Mann warten zu müssen. Selbst den Captains-Ball, auf den sie sich schon so gefreut hat, muss sie wohl ohne Dan besuchen, was die Ehekrise nur noch verschärft. Immerhin kommen Madigan und Bonaro durch zahlreiche Informanten dem Gesuchten gefährlich nahe …
Don Siegel („Der Scharfschütze“, „Flucht von Alcatraz“) ist mit der Verfilmung von Richard Doughertys Roman „The Commissioner“ ein vielschichtiges Cop-Drama gelungen, das auch ohne großspurige Action zu fesseln versteht. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die beiden nicht nur in unterschiedlichen Positionen innerhalb der Polizei-Hierarchie angesiedelten, sondern auch persönlich ganz verschiedenen Cops Madigan und Russell. Während der temperamentvolle Madigan – sehr zum Unmut seiner anspruchsvollen Frau – überhaupt keinen Ehrgeiz entwickelt hat und sich als Detective auf den Straßen von New York pudelwohl fühlt, hat sich Russell in aller Besonnenheit und Ruhe nach oben gearbeitet, wo er allerdings schwierige Entscheidungen zu treffen hat, die vor allem das Verhalten seiner eigenen Leute betrifft, aber auch seine Affäre zur hübschen Tricia.
Henry Fonda („Die zwölf Geschworenen“, „Spiel mir das Lied vom Tod“) spielt das verantwortungsbewusste wie gramgebeugte Polizeioberhaupt angenehm zurückhaltend und überzeugend. Auf der anderen Seite sorgt Richard Widmark („Alamo“, „Coma“) für eine der besten Performances seiner Karriere. Die Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit, mit der er seinen Job auf der Straße versieht, ist ihm in fast jeder Einstellung anzusehen. Sein Wille bleibt trotz der Erschöpfung, die ihn dabei in die Wohnung seiner früheren Freundin Jonesy (Sheree North) treibt, die sich im Gegensatz zu ihm nach der früheren Intimität zurücksehnt, ungebrochen, doch geht bei seinem Engagement leider mehr als auch seine Ehe in die Brüche.
Neben den grandiosen Darstellungen bis in die gut besetzten Nebenrollen hinein überzeugt aber auch die geradlinige Inszenierung und die authentisch wirkenden Schauplätze der oft heruntergekommenen Straßen von New York. Dabei ist „Nur noch 72 Stunden“ kein reiner Männerfilm. Die attraktiven Frauen an den Seiten von Russell und Madigan sind mehr als hübsche Blickfänge, sondern wirken emanzipiert und willensstark. 1972 und 1973 wurden nach dem Vorbild des Films auch sechs Folgen von „Sergeant Madigan“ mit Richard Widmark in der Hauptrolle produziert.
"Nur noch 72 Stunden" in der IMDb

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