Der fremde Sohn

Eigentlich kennt man Clint Eastwood als Mann, der Filme für Männer macht. Das zieht sich durch seine Schauspielkarriere, die mit seinen Rollen als wortkarger Revolverheld in Sergio Leones „Dollar“-Trilogie und über die „Dirty Harry“-Reihe mächtig an Fahrt aufnahm, ebenso wie durch seine eigenen Regiewerke wie „Erbarmungslos“, „Perfect World“ und „Space Cowboys“. Nachdem er bereits in „Die Brücken am Fluss“ und „Million Dollar Baby“ starke Frauenrollen in den Fokus seiner Erzählungen stellte, inszenierte Eastwood 2008 mit „Der fremde Sohn“ das auf wahren Begebenheiten beruhende Drama einer alleinerziehenden Mutter, die in den 1920er Jahren nach ihrem vermissten Sohn sucht und dabei gegen das korrupte Polizeidepartment in Los Angeles ankämpfen muss.
Christine Collins (Angelina Jolie), Abteilungsleiterin in einer Telefongesellschaft, muss an einem ihrer freien Tage doch arbeiten und lässt sie ihren neunjährigen Sohn Walter (Gattlin Griffith), mit dem sie eigentlich ins Kino gehen wollte, allein zuhause. Als sie am frühen Abend nach Hause kommt, findet sie das Haus verlassen vor, das Sandwich im Kühlschrank ist genauso unberührt wie die Betten, auch die Suche in der Nachbarschaft nach ihm bleibt erfolglos. Die Polizei nimmt routinemäßig erst nach 24 Stunden eine Vermisstenanzeige auf. Auch wenn die alleinerziehende Mutter nicht zu seiner Gemeinde gehört, betet Pastor Gustav Briegleb (John Malkovich) jeden Tag für die gepeinigte Mutter und nutzt in seinen Radiosendungen jede Gelegenheit, die untätige Polizei wegen Korruption anzuklagen. Tatsächlich hat Polizeichef James E. Davis (Colm Feore) seit seiner Amtseinführung dafür gesorgt, dass seine Beamten jederzeit mutmaßliche Gangster töten können. Wer den Polizeiapparat aber entsprechend schmiert, muss vor dem Gesetz nichts fürchten und kann seinen kriminellen Machenschaften unbehelligt nachgehen. Nach fünf Monaten erhält Christine allerdings eine Nachricht von Captain J.J. Jones (Jeffrey Donovan), dass ihr Sohn in Illinois aufgefunden wurde und auf dem Weg zurück nach Los Angeles sei. Die Zusammenführung von Mutter und Sohn am Bahnhof wird natürlich von Davis und Jones medienwirksam begleitet, damit die Zeitungen auch mal etwas Gutes über die Polizeiarbeit zu berichten haben. Doch als der Junge aus dem Zug aussteigt, erkennt ihn Christine nicht wieder. Der Junge nennt zwar den richtigen Namen und die passende Adresse, doch vergeblich versucht Christine die Polizei auf ihren Irrtum hinzuweisen. Während der Zahnarzt und Walters Lehrerin bestätigen können, dass der Junge, der sich nun in Christines Obhut befindet, definitiv nicht Walter ist, setzt Jones alles daran, die aufgebrachte Mutter aus dem Verkehr zu ziehen, und lässt sie schließlich in eine Nervenheilanstalt einweisen, wo bereits andere Frauen untergebracht sind, die Schwierigkeiten mit der Polizei hatten. Zum Glück lässt Briegleb nichts unversucht, Christine aufzufinden, und engagiert schließlich den prominenten Anwalt S.S. Hahn (Geoff Pierson), um die Korruptionsaffäre der Polizei aufzudecken. Währenddessen kommt Detective Lester Ybarra (Michael Kelly) bei der Rückführung eines Jungen zurück nach Kanada dem Serienmörder Gordon Northcott (Jason Butler Harner) auf die Spur …
Nach einem Drehbuch von J. Michael Straczynski („Sense8“, „Underworld Awakening“) erzählt Clint Eastwood in 140 Minuten die durchweg packende Geschichte einer alleinerziehenden Mutter, die nicht nur verzweifelt nach ihrem vermissten Sohn Walter sucht, sondern sich dabei ausgerechnet mit der Behörde auseinandersetzen muss, die ihr eigentlich behilflich sein soll, stattdessen aber nur darauf aus ist, die eigenen Verfehlungen nicht in der (Medien-)Öffentlichkeit hochkochen zu lassen. Angelina Jolie („Wanted“, „Salt“) bietet als verzweifelt kämpfende Mutter sicher eine ihrer eindringlichsten Performances ihrer Karriere, John Malkovich („In the Line of Fire“, „Gefährliche Liebschaften“) steht ihr tapfer mit der ganzen Macht seiner populären Radiosendung und seinem Zorn gegenüber der korrupten Polizei zur Seite. Auf der anderen Seite verkörpern der Polizeichief und sein Captain die dunkle Seite des herrisch agierenden Polizeiapparats, in dem der aufrechte Detective Ybarra auf der Jagd nach dem Serienmörder die Hoffnung aufrechterhält, dass der Gerechtigkeit doch noch zum Sieg verholfen werden kann.
Dass „Der fremde Sohn“ über die lange Spielzeit nie langweilig wird, liegt an der geschickten Dramaturgie des Films. Eastwood verschwendet keine überflüssige Einstellung bei der Vorstellung von Christine und Walter, dessen Vater noch vor seiner Geburt das Weite gesucht hatte, lässt die Umstände von Walters Verschwinden im Dunkeln und konzentriert sich dann ganz auf die Konfrontation, die Christine und Briegleb mit der Polizei suchen. Gerade als sich die Situation mit Christines Einweisung in die Nervenheilanstalt zuspitzt, kommt die Jagd nach dem Serienmörder in Gang, so dass die Aufmerksamkeit des Publikums gleich an mehreren Fronten gefesselt ist.
Wie Eastwood zwischen Christines Suche nach ihrem Sohn, dem radikalen Vorgehen der Polizei und der Jagd nach dem Killer, der auch Walter zu seinen Opfern gemacht haben könnte, navigiert, ist einfach meisterhaft. Dazu hat er die Atmosphäre der 1920er Jahre wunderbar authentisch eingefangen und wieder einmal das Beste aus seinem ohnehin gut ausgesuchten Ensemble herausgeholt.
"Der fremde Sohn" in der IMDb

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