In weiter Ferne, so nah!

Bereits mit der Schlussszene seines 1987 inszenierten Films „Der Himmel über Berlin“, seiner meisterhaften poetischen Betrachtung der beiden ineinander übergreifenden Welten der Engel und Menschen im geteilten Berlin, wies Wim Wenders auf eine Fortsetzung hin. 1993 erschien mit „In weiter Ferne, so nah!“ das thematisch ähnlich angelegte, doch um eine Krimihandlung erweiterte Sequel, das nun erstmals auf Blu-ray erhältlich ist. 
Während sein Gefährte Damiel (Bruno Ganz) aus der Neugier zu menschlichen Empfindungen das Engelsdasein aufgegeben und mit der Akrobatin Marion (Solveig Dommartin) eine kleine Familie gegründet hat, zieht Cassiel (Otto Sander) nach wie vor über die Dächer und durch die Straßen von Berlin, wobei er immer wieder mit seiner weiblichen Kollegin Raphaela (Nastassja Kinski) die wachsende Distanz zwischen den Menschen und ihren himmlischen Begleitern beklagt. 
Doch statt nur den Gedanken der Menschen zu lauschen und ihr Tun zu beobachten, möchte der Engel selbst in Aktion treten. Als er einem vom Balkon eines Hochhauses stürzendes Mädchen rettet, wird Cassiel zu menschlichem Fleisch und Blut. Allerdings fehlt ihm ohne Raphaela jegliche Orientierung in der neuen Welt. Als er schon in Selbstmitleid, Verzweiflung und Alkoholismus zu versinken droht, spricht ihm Lou Reed (der sich - ebenso wie Peter Falk - selbst spielt) Mut zu, und Cassiel bekommt die Möglichkeit, für den erfolgreichen Geschäftsmann Tony Baker (Horst Buchholz) zu arbeiten. 
Als er jedoch feststellt, welch kriminellen Geschäften Baker nachgeht, greift Cassiel ein. 
„In weiter Ferne, so nah!“ taucht mit den ersten Szenen nahtlos in das vertraute „Himmel über Berlin“-Terrain ein. Engel schwadronieren über die Last ihrer schwerelosen, der Menschen Taten und Gedanken nur beobachtenden Existenz, und der Zuschauer bekommt gleichzeitig eine Bestandsaufnahme der sozialen Befindlichkeiten im (nun wiedervereinten) Berlin präsentiert. 
Die Engel treten im weiteren Verlauf der insgesamt 140 Minuten Spielzeit allerdings immer mehr in den Hintergrund. Sie dienen aber zunehmend als Spiegelfolie für die allzu menschlichen Eigenschaften, die Wärme, Poesie, Lebenslust und Liebe ebenso wie die Kälte, Gier und Lieblosigkeit. Indem Wenders eine nicht ganz geglückte Krimihandlung in seine Geschichte einfügt, geht dem Film die intensive Atmosphäre von „Der Himmel über Berlin“ etwas verloren, aber gerade durch die Auftritte von Heinz Rühmann (in seiner letzten Filmrolle), Nastassja Kinski, Lou Reed, Peter Falk und sogar Michail S. Gorbatschow kehrt das Werk immer wieder zu seinem poetischen Ursprung zurück. 
Der fast zweieinhalbstündige Film ist sicher keine leichte Kost fürs Mainstream-Publikum, doch durch den Krimiplot und die humorvollen Elemente wagt sich „In weiter Ferne, so nah!“ über den Arthaus-Kontext hinaus und fasziniert mit seinem wieder sehr gelungenen Soundtrack (diesmal mit sinfonischen Klängen von Laurent Petitgand und Songs von Nick Cave, The House Of Love, U2, Lou Reed und Laurie Anderson), der virtuosen Kameraarbeit von Jürgen Jürges („Christiane F.“, „Vom Suchen und Finden der Liebe“) und nicht zuletzt den famos aufspielenden Cast, dem Willem Dafoe („Platoon“) als undurchsichtiger Emit Flesti mit seinen philosophischen Betrachtungen zusätzliche Qualität verleiht. Abgerundet wird die Blu-ray-Veröffentlichung durch schönes Bonus-Material wie Interviews, einem Audio-Kommentar von Wim Wenders, einem ausführlichen Making of und geschnittenen Szenen.  

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