Märkische Forschungen

Bereits 1989 präsentierte das Braunschweig International Film Festival im Rahmen der Reihe „Filme aus der DDR“ eine Werkschau des DEFA-Regisseurs Roland Gräf, der am 3. November 1989 als Gast des Filmfestes mit seiner Frau Christel Gräf und der Schauspielerin Jutta Wachowiak die Öffnung der Mauer in Braunschweig miterlebte. 30 Jahre danach thematisiert das Filmfest die Schicksale der Menschen, die in der DDR lebten und arbeiteten, wobei vor allem die letzte Generation an Schauspieler*innen und Filmemacher*innen der DEFA im Fokus stehen. Neben einer Fotoausstellung mit Bildern von Roland Gräf wurde beim 33. Braunschweig International Film Festival auch Gräfs Verfilmung von Günter de Bruyns Roman „Märkische Forschungen“ aus dem Jahre 1982 präsentiert.
Der in Berlin lebende berühmte Literaturprofessor Winfried Menzel (Kurt Böwe) bleibt auf dem Weg zu Recherchearbeiten für sein kommendes Buch auf einem märkischen Waldweg mit seinem Wagen im Morast stecken und lernt so den Landlehrer Ernst Pötsch (Hermann Beyer) kennen. Als sie sich unterhalten, stellen sie ihre gemeinsame Verehrung für den nahezu vergessenen Dichter Max von Schwedenow fest, der in Pötschs Heimat gelebt und gewirkt hat. Menzel ist von dem belesenen wie enthusiastischen Schwedenow-Kenner so beeindruckt, dass er ihm eine Stelle als Mitarbeiter in seinem Berliner Institut anbietet. Mit seiner Frau (Jutta Wachowiak) plant er schon den Umzug nach Berlin, doch je mehr er sich darauf versteift, den beiden unterschiedlichen Todesjahren des Dichters auf den Grund zu gehen und den Ursprung seiner Identität zu hinterfragen, zieht er sich den Zorn seines Mentors zu, der seinen weitreichenden Einfluss geltend macht, dass Pötschs kritischer Aufsatz Schwedenows wahre Identität nirgends erscheint. Pötsch hat Verbindungen aufgedeckt, dass der in seiner Jugend progressive Dichter später – unter einem anderen Namen - als reaktionärer Zensor der preußischen Regierung gearbeitet hat, was Wenzel schlicht ignoriert, um den Grundtenor seiner eigenen Abhandlung über Schwedenow in Frage zu stellen. Plötsch arbeitet nun nur noch besessener daran, Beweise für seine Thesen zu finden …
Der 1934 im thüringischen Meuselbach geborene und 2017 in Potsdam verstorbene Filmemacher Roland Gräf („Der Tangospieler“, „Fallada – letztes Kapitel“) hat sich offenbar mit Begeisterung auf den 1979 veröffentlichten Roman „Märkische Forschungen“ von Günter de Bruyns gestürzt. Diese unverfilmbar erscheinende Literaturgeschichte hat Gräf ganz auf die außergewöhnliche Beziehung zwischen zwei ganz unterschiedlichen Forschern reduziert und dabei auf faszinierende und spannende Weise herausgearbeitet, wie Forschung von ganz persönlichen Motiven und Prämissen geleitet wird. Der Film bleibt stets bei Menzel und Plötsch, die sich nicht nur in ihrem akademischen Hintergrund voneinander unterscheiden. Der großstädtische und großspurige, selbstverliebte Menzel präsentiert sich gern im Fernsehen als Koryphäe der Literaturforschung und blickt aus rein akademischer Perspektive auf seine Forschungsobjekte. Die Hände selbst macht er sich nicht schmutzig. Das wird schon in der Eröffnungsszene deutlich, als er seelenruhig im Auto sitzen bleibt, und wartet, bis Pötsch und sein Bruder Fritz den Wagen aus dem Schlamm gezogen haben, während Menzels Frau (Barbara Dittus) die Inspektion der Lage vorgenommen hat. Für die undankbare Zuarbeit in Form von Korrekturen, Fußnoten und Belegen hat Menzel seine akademischen Assistenten. Plötsch hingegen forscht buchstäblich im Dreck und an der Basis. Der Dorflehrer sieht endlich die Chance, mit seinen Überlegungen Großes zur Rezeption von Max von Schwedenow beitragen zu können, und versäumt über seinen Eifer, einen bahnbrechenden Aufsatz über das tatsächliche Todesjahr des Dichters zu verfassen, sogar zur Schule zu gehen. Sorgfältig schält Graf die persönlichen Eigenheiten der beiden Schwedenow-Verehrer heraus und erzählt mit großem psychologischen Einfühlungsvermögen die zwangsläufige Konfrontation. Plötsch lässt sich zwar anfangs leicht beeindrucken von all den Erstausgaben in Menzels beeindruckender Privatbibliothek, doch lässt er sich nicht von seinem eigenen Forschungsansatz abbringen, wobei er allerdings unterschätzt, wie groß der Einfluss seines Mentors auf publizistischer Ebene ist. Der wachsende Disput zwischen Menzel und Plötsch könnte eine sehr trockene Angelegenheit in der filmischen Adaption werden, doch Gräf gelingt es, die Mechanismen des Literaturbetriebs auf eine sehr persönliche Ebene herunterzubrechen und ein psychologisches Drama zu etablieren, das von seinen famos aufspielenden Darstellern getragen und von den nicht weniger überzeugenden Nebendarstellern wunderbar ergänzt wird.
"Märkische Forschungen" in der IMDb

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