Neon Heart

In seinem Spielfilmdebüt „Neon Heart“ befasst sich der dänische Dokumentarfilmer Laurits Flensted-Jensen gleich mit mehreren nach wie vor in der Gesellschaft tabuisierten Themen und folgt drei lose miteinander verbundenen Figuren auf ihrem schwierigen Weg durch das Leben. Seine Deutschland-Premiere feierte das Drama, das auf eine Mischung aus professionellen und Laiendarstellern setzt, beim 33. Braunschweig International Film Festival, wo „Neon Heart“ im Wettbewerb um den Publikumspreis „Der Heinrich“ lief.
Der Drogenabhängige Niklas (Niklas Herskind) versucht nach seinem Entzug in Therapiesitzungen und als Sozialarbeiter in einer Einrichtung für Menschen mit Down-Syndrom wieder Fuß im Leben zu fassen. Als er das Zuhause seines 17-jährigen Bruders Frederik (Noah Skovgaard Skands) besucht, um ein paar persönliche Dinge abzuholen, ist die Mutter mal wieder auf Reisen, doch Frederik hält es für keine gute Idee, dass Niklas für ein paar Tage mit ihm zusammen abhängt. Frederik selbst versucht, bei einer Gruppe von Hooligans unterzukommen und begegnet im Park zufällig Niklas‘ hübscher Ex-Freundin Laura (Victoria Carmen Sonne) mit einem Kinderwagen. Sie versucht nach einer missglückten Karriere als Pornodarstellerin in den USA wieder ein normales Leben in Kopenhagen zu führen, doch die wiederholten Versuche, Kontakt zu Niklas herzustellen, blockt dieser vehement ab. So bemüht sich Laura als alleinerziehende Mutter und Sozialarbeiterin am Leben zu erhalten, doch ihre im Netz nach wie vor dokumentierte Vergangenheit macht ihr immer wieder ein Strich durch die Rechnung, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Aber auch Niklas droht in seiner Rehabilitierungsphase zu scheitern: Als er mit zwei seiner Klienten in ein Bordell geht, bleibt dieser Regelverstoß nicht ohne Folgen für ihn …
Als gelernte Dokumentarfilmer war Laurits Flensted-Jensen („Snow“, „Melon Rainbow“) vor allem daran gelegen, nicht nur gesellschaftliche Tabus zu thematisieren, sondern sie auch möglichst authentisch abzubilden. Wie gut ihm dieses ambitionierte Vorhaben gelungen ist, wird besonders in den eindringlichen, schwierig umzusetzenden Szenen in dem Bordell deutlich, wo die beiden Freunde mit Down-Syndrom die intime Bekanntschaft mit Prostituierten machen. Diese Szenen hat Flensted-Jensen mit großem Einfühlungsvermögen und ohne Sensationslust gefilmt, wobei sowohl das behutsame Vorgehen der Frauen als auch die Scheu der beiden Männer mit Handicap absolut authentisch wirken. Ungeschönt wird das Tabu der käuflichen Liebe auch bei Laura thematisiert. Ihr mit der Handkamera gefilmtes Casting für eine Online-Porno-Plattform in den USA bildet die Eröffnungsszene von „Neon Heart“ und wird später durch die erniedrigen Erfahrungen, die in Lauras Erinnerungen nachhallen, noch deutlicher durch unzensierte sexuelle Handlungen inszeniert. Hier ist es vor allem der talentierten Victoria Carmen Sonne („Holiday - Sonne, Schmerz und Sinnlichkeit“, „Psychosia“) zu verdanken, dass ihre Laura die richtige Mischung aus gewünschtem lasziven Verführungsgebaren und tiefster innerer Verzweiflung durch die Erniedrigung des herrischen Filmemachers, aber auch bei späteren Konfrontationen mit ihrer unrühmlichen Vergangenheit zum Ausdruck bringt.
Obwohl Laura, Niklas und Frederik eine gemeinsame Geschichte verbindet, sind die drei Hauptfiguren doch selten miteinander zu sehen. Flensted-Jensen folgt anekdotisch den einzelnen Schicksalen, dokumentiert ihren Kampf um Liebe und Anerkennung in einem Leben, das bislang nur Probleme für sie bereitgehalten hat. Die Drogensucht und der Hooliganismus sind weitere Themen aus der gesellschaftlichen Tabuszene, die allerdings weit weniger im Fokus stehen als der Umgang mit dem Erleben von Sexualität aus verschiedenen Perspektiven, wobei vor allem der Umgang mit der Sexualität von Schwerbehinderten einfühlsam inszeniert worden ist. Die durchweg überzeugenden Darstellerleistungen und die abwechslungsreiche, oft intensive Farbgebung und Kameraarbeit machen „Neon Heart“ zu einem quasi-dokumentarischen Werk, das in der authentischen Darstellung seiner bewegenden Figuren lange nachhallt.
"Neon Heart" in der IMDb

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