Engel der Verlorenen

Nachdem Akira Kurosawa zu Beginn seiner Karriere mitten in den Wirren des Zweiten Weltkriegs seine Filmstoffe erst für die japanische Regierung, dann für die US-amerikanische Übergangsadministration umarbeiten musste, fand er erst 1947 mit „Ein wunderschöner Sonntag“ zu einer eigenen Stimme im japanischen Kino. Nach diesem berührenden Liebesdrama, das bereits auf die katastrophalen Zustände im Nachkriegsjapan aufmerksam machte, lieferte Kurosawa ein Jahr später mit dem Film noir „Engel der Verlorenen“ sein erstes echtes Meisterwerk ab. 

Inhalt: 

In dem heruntergekommenen Vorort einer namenlosen Großstadt unterhält der bärbeißige, dem Alkohol sehr zugewandte Doktor Sanada (Takashi Shimura) eine kleine Praxis, in der der Experte für Tuberkulose-Erkrankungen zwar wenige Patienten versorgt, die aber mit besonderer Sorgfalt betreut. Als er eines nachts Besuch von Matsunaga (Toshiro Mifune) bekommt, der ihm einen Nagel aus der Handfläche holen soll, der sich angeblich in einer Tür befand, an der er sich gestoßen hatte, entpuppt sich der Fremdkörper jedoch als Pistolenkugel. Wie sich herausstellt, ist der impulsive Matsunaga nicht nur der örtliche Arm der Yakuza, die das Viertel kontrolliert, sondern leidet auch an Tuberkulose. Matsunaga will von einer den Verdacht bestätigenden Röntgenaufnahme aber nichts wissen und beschimpft den Doktor als Scharlatan, bevor er das Weite sucht. 
Sanada will den jungen Mann aber nicht seinem Schicksal überlassen und macht sich auf die Suche nach ihm. Derweil sorgt sich seine Arzthelferin Miyo (Chieko Nakakita) um die Freilassung ihres Ex-Mannes Okada (Reisaburo Yomamoto), der vor Matsunaga das Viertel in seiner Hand hatte. Als Okada seine mehrjährige Haftstrafe abgesessen hat, kehrt er tatsächlich in sein altes Revier zurück und macht sich nicht nur auf die Suche nach Miyo, sondern will auch seine alte Stellung im Bezirk zurückgewinnen… 

Kritik: 

Kurosawa hat bereits seine herzzerreißende, melancholische Liebesgeschichte „Ein wunderschöner Sonntag“ in den wenig erbaulichen Szenerien der heruntergekommenen Seiten des Nachkriegs-Tokio spielen lassen und findet auch für sein nachfolgendes Werk die passenden symbolischen Bilder, wenn die Kamera immer wieder einen Sumpf ins Bild bringt, der nicht nur Krankheiten wie Typhus verursacht, sondern sinnbildlich für die moralisch verwitterte Mentalität steht, die sich im Nachkriegs-Japan breit gemacht hat. 
Kurosawa macht dafür nicht etwa die Amerikaner verantwortlich, sondern die Tradition der Yakuza-Gangster, für die Menschlichkeit ein Fremdwort, ja eine Schande für die Berufsehre darstellt. In diesem großstädtischen Moloch fliehen die Menschen in die Sucht – nach Alkohol, nach Sex und nach Gewalt. Der todkranke Yakuza-Gangster und der alkoholkranke Doktor geben ein seltsames Paar ab, das einander trotz der bösen Worte, die sich die beiden Männer an den Kopf werfen, auf unbestimmte Weise zu stützen scheint. 
Für Kurosawa war es die erste Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Toshiro Mifune, der in fünfzehn weiteren Werken des Regisseurs mitwirken durfte und der mit Sanada-Darsteller Takashi Shimura wunderbar vor der Kamera harmoniert. „Engel der Verlorenen“ stellt auch Kurosawas ersten Ausflug in die Gefilde des Film noir dar, was dieser mit der stimmigen Ausleuchtung der Schauplätze, gerade zum Finale hin, und expressiven Licht-Schatten-Spielen dokumentiert. 
Es ist wirklich bedauerlich, dass Kurosawa hierzulande fast nur für seine Samurai-Klassiker wie „Ran“, „Die sieben Samurai“ und „Kagemusha“ bekannt ist, dabei sind gerade seine vom Film noir beeinflussten Werke ebenso sehenswert. 

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