Der Schocker
Der französische Drehbuchautor und Regisseur Alain Jessua hat mit seinen ersten beiden Filmen, dem Drama „Das umgekehrte Leben“ (1964) und der Abenteuer-Komödie „Mordgeschichten“ (1967), eine so gute Figur gemacht, dass er für seine nächsten beiden Filme mit dem Star Alain Delon drehen durfte. Mit dem 1973 inszenierten „Der Schocker“ gelang ihm sogar ein gesellschaftskritisches Thriller-Drama, in dem Hauptdarstellerin Annie Girardot sogar auf Augenhöhe mit Delon agieren darf.
Als Leiterin einer Textilfabrik fühlt sich die 38-jährige Hélène Masson (Anne Girardot) ausgebrannt und nach einer Trennung auch nicht mehr so attraktiv wie früher. Auf Anraten ihres schwulen Bekannten Gérôme Savignat (Robert Hirsch) begibt sich Hélène in das abgeschieden am Meer liegende Thalassotherapie-Institut von Dr. Devilers (Alain Delon) und dessen Assistenten Dr. Bernard (Michel Duchaussoy), wo sie allerdings ausgerechnet von Gérôme darauf hingewiesen wird, dass die Therapie süchtig mache. Tatsächlich fühlt sich Hélène nach den ersten Behandlungen pudelwohl.
Erst als Gérôme einen Tag nach seiner ausgesprochenen Warnung tot auf den Klippen aufgefunden wird, kommt Hélène ins Grübeln, sind ihr doch bereits einige Merkwürdigkeiten aufgefallen, so die Schwächeanfälle des portugiesischen Hilfspersonals.
Zwar spielt Hélène kurz mit dem Gedanken, vorzeitig abzureisen, doch der attraktive Dr. Devilers rät ihr eindringlich davon ab, wäre ein vorzeitiger Abbruch der Therapie doch gesundheitsschädlich. Hélène beschließt nicht nur, die Behandlung fortzusetzen, sondern auch eine sexuelle Beziehung mit ihrem Arzt einzugehen, um so Zugriff auf Informationen über die Vorgehensweise in dem Institut zu erhalten. Doch damit begibt sie sich auf eine lebensgefährliche Mission…
Kritik:
Alain Jessua hat sich nach einem eigenen Kuraufenthalt zu diesem Thriller-Drama inspirieren lassen, das geschickt mit der Sucht des Menschen nach Jugend und ewigem Leben spielt. Natürlich können sich die Befriedigung dieses Bedürfnisses nur die Reichen leisten. Davon zeugt die exklusive, aber auch klinisch unterkühlte Kulisse auf der bretonischen Insel Belle-Île. Zwar gibt es hier nur Algensteaks, aber man is(s)t unter sich, darf sich als Angehöriger einer exklusiven Klientel auch über das unfähige, offensichtlich illegal beschäftigte Personal ärgern.
Von seltsamen Ereignissen, die die eigene Behandlung in Frage stellen, will niemand etwas wissen. In dieser eingeschworenen Atmosphäre agiert Anne Girardot („Die Klavierspielerin“, „Rocco und seine Brüder“) als misstrauische Patientin letztlich auf eigene Faust und damit ohne Netz und doppelten Boden. Der Tod ihres Bekannten lässt erahnen, dass die Klinikbetreiber keinen Spaß bei der Kritik an ihren Methoden verstehen und zu drastischen Korrekturmaßnahmen greifen.
Girardot und Delon ragen aus dem eher unauffällig agierenden Cast locker heraus, dazu zieht Jessua geschickt die Spannungsschraube bis zum Finale an, auch wenn die Auflösung des Erfolgsrezeptes nicht weiter überrascht.
So bietet „Der Schocker“ gesellschaftskritische Thriller-Unterhaltung mit leichtem Horror-Touch vor exklusiver Kulisse mit souverän auftretenden Darstellern.
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