Girlfriend Experience

Von Drehbuchautor, Produzent und Regisseur Steven Soderbergh ist der Zuschauer bereits u.a. Krimis („The Limey“), episodisch angelegte Dramen („Traffic“), Gaunerkomödien („Ocean’s“-Trilogie), Biopics („Kafka“, „Che“) und metaphysische Science-Fiction („Solaris“) gewohnt, so dass man nie weiß, wo einen der nächste Soderbergh hinführen wird. Im Jahre 2009 inszenierte er mit „Girlfriend Experience – Aus dem Leben eines Luxus-Callgirls“ ein kaum beachtetes Doku-Drama, das erst jetzt auf DVD/Blu-ray erhältlich ist und sich thematisch Soderberghs Frühwerk „Sex, Lügen und Video“ (1989) annähert. 
Das junge Luxus-Callgirl Chelsea (Sasha Grey) hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihren Kunden bei der Erfüllung ihrer Träume nicht das Gefühl zu vermitteln, dass sie bezahlten Sex bekommen. Vielmehr sieht sie sich als echte Gesellschafterin, die mit den Männern, die ihre Dienste in Anspruch nehmen, ins Kino und in Restaurants geht oder sich einfach nur ihre Sorgen aus der höheren Geschäftswelt anhört. Während Chelsea von ihren betuchten Kunden einen Stundenlohn von 2000 Dollar erhält, schlägt sich ihr Freund Chris (Chris Santos) als freier Fitnesstrainer durch, der trotz redlicher Bemühungen kein besseres Angebot in der Branche bekommt. Aber auch Chelsea sieht sich angesichts der umgreifenden Finanzkrise vor dem Problem, ihr Profil zu schärfen und neue Erwerbsgebiete zu erschließen. Da kommt ihr das Angebot eines Escort-Kritikers eigentlich ganz recht, sie für eine illustre Party nach Dubai zu schicken – allerdings will er sich vorab persönlich von Chelseas Qualitäten überzeugen. Als Chelsea auch noch das Wochenende mit einem verheirateten Geschäftsmann verbringen will, wird auch noch ihre Beziehung zu Chris auf eine harte Probe gestellt. 
Aufgehängt an einem Interview, das Soderberghs Protagonistin, die auch im wirklichen Leben eine Edel-Prostituierte ist, mit einem Journalisten führt, bekommt der Zuschauer den wenig inspirierenden Alltag einer jungen Frau nähergebracht, die für eine Menge Geld die oft elementaren Bedürfnisse wohlhabender Männer befriedigt. Soderbergh bedient dabei überhaupt keine voyeuristischen Ambitionen, nicht in einer Sekunde ist Sasha Greys nackter Körper zu sehen. Vielmehr protokolliert er, wie Chelsea ihr Leben wahrnimmt. Besondere Bedeutung misst sie ihrem Edelmarken-Outfit und dem Make-up bei. Sie ist ihren Kunden vor allem Gesprächspartnerin, Zuhörerin, zärtliche Gespielin und natürlich auch sexuelles Lustobjekt, aber das spielt für das Portrait eine untergeordnete Rolle. Interessanter stellt sich da schon die Frage, wie Chelseas Freund mit der Situation umgeht, und aus der Auseinandersetzung mit dem Beziehungsthema bezieht der Film auch einen Großteil seiner Spannung. Hier spielt vor allem der Gegensatz zwischen intimen Verhältnissen und Bekenntnissen einerseits und professionellem Rollenverständnis andererseits eine tragende Rolle, die „Girlfriend Experience“ zu einem faszinierenden Psychogramm über zwischenmenschliche Beziehungen im allgemeinen und die Sehnsüchte von Menschen und ihre Erfüllung im Besonderen macht. 

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