Tote schlafen fest
Gleich mit seinem ersten Roman „The Big Sleep“ (1939) gelang dem Schriftsteller Raymond Chandler ein Riesenerfolg, der mit dem zynischen Privatdetektiv Philip Marlowe einen charismatischen Antihelden schuf, der bis 1958 in Serie gehen sollte, die Schwarze Serie in Hollywood etablierte und den Autor selbst nach Hollywood trieb, wo er u.a. die Oscar-nominierten Drehbücher zu Billy Wilders „Frau ohne Gewissen“ und George Marshalls „Die blaue Dahlie“ verfasste. „Tote schlafen fest“, Howard Hawks‘ Verfilmung von Chandlers Debütroman mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall in den Hauptrollen, wurde 1946 ebenfalls zum Klassiker des Film noir.
Inhalt:
Der reiche wie gebrechliche General Sternwood (Charles Waldron) lässt den Privatdetektiv Philip Marlowe (Humphrey Bogart) zu sich nach Hause bitten, damit er ihm einen Erpresser vom Leib hält, der die vermeintlichen Spielschulden seiner Tochter Carmen (Martha Vickers) eintreiben will, die Marlowe bereits bei seinem Eintreffen auf dem Sternwood-Anwesen kennengelernt hat. Nach seinem Gespräch mit dem Hausherren lernt Marlowe auch Carmens ältere Schwester, Vivian Rutledge (Lauren Bacall), kennen, die mit ihrem undurchsichtigen Wesen auf den Privatdetektiv sofort eine besondere Faszination ausübt. Seine Ermittlungen führen zunächst zu dem Buchhändler Arthur Gwynn Geiger, der neben seinem Handel mit seltenen Büchern aber offensichtlich auch weniger legalen Geschäften nachgeht. Als Marlowe ihm nach Ladenschluss nach Hause folgt und beobachtet, wie nach offensichtlichen Handgreiflichkeiten zwei Autos davonfahren, entdeckt Marlowe im Haus nicht nur den getöteten Hausherrn am Boden liegen, sondern auch die mit Drogen betäubte Carmen und eine in einer Büste versteckten Kamera. Zusammen mit seinem Freund von der Polizei , Chief Inspector Bernie Ohls (Regis Toomey), macht sich Marlowe auf die Suche nach Geigers Mördern und kommt dabei dem Gangster Eddie Mars (John Ridgely) in die Quere, in dessen Casino sich auch Vivian zu amüsieren pflegt.
Obwohl sich Marlowe in Vivian zu verlieben beginnt, kann er ihre Rolle in dem komplexen Verwirrspiel nicht einordnen, denn er ist sich sicher, dass sie auch über das Verschwinden des Sternwood-Angestellten Sean Regan, der mit Mars‘ Ehefrau durchgebrannt sein soll, mehr weiß, als sie zugibt …
Kritik:
Neben „Die Spur des Falken“ (1941), „Frau ohne Gewissen“ (1944), „Laura“ (1944) und „Murder, My Sweet“ (1944) zählt „Tote schlafen fest“ zu Recht zu den großen Meisterwerken des Film noir, jener dunklen Spielart des klassischen Krimis, die nicht nur durch einen besonderen visuellen Stil und eine entsprechende Atmosphäre, sondern auch durch die Kombination von verzweifelten Männern und einer abgründigen Femme fatale, von denen „Tote schlafen fest“ gleich mehrere aufzubieten hat. Humphrey Bogart („Casablanca“, „Der Schatz der Sierra Madre“) spielt den zynischen Privatdetektiv Philip Marlowe unerreicht brillant. Unerschrocken und stets mit einem lockeren Spruch auf den Lippen gibt er sich mit geheimnisvollen Frauen ebenso selbstverständlich wie mit Gaunern ab, die schnell dabei sind, ihre Schießeisen zu zücken oder die Fäuste fliegen zu lassen.
Trotz aller Blessuren, die Marlowe über sich ergehen lassen muss, verfolgt er seinen Auftrag aber verbissen weiter, auch wenn die Wege seiner Ermittlungen zunehmend verschlungeneren Pfaden folgen. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist die während der Dreharbeiten aufgekommene Frage, wer denn diesen Owen Taylor – eines der vielen Opfer – umgebracht haben soll, was selbst Raymond Chandler nicht beantworten konnte. Diese Anekdote zeigt auf, dass es weder Chandler noch Hawks in erster Linie auf die kriminalistische Handlung an sich ankam, sondern eher um die Darstellung der verruchten Atmosphäre aus Habgier, Sex, Eifersucht, Korruption und Gewalt.
Marlowe bewegt sich in dieser verkommenen Welt ganz natürlich, obwohl er sich selbst nicht dieser korrupten Mechanismen annimmt. Stattdessen lebt er durch die Romanze mit Vivian seinen Beschützerinstinkt aus, aber auch Martha Vickers („Der Himmel voller Geigen“) als kokette Carmen und Dorothy Malone („In den Wind geschrieben“) bereichern das Femme-fatale-Ensemble auf bemerkenswerte Weise.
Literaturnobelpreisträger William Faulkner, der maßgeblich am Drehbuch mitschrieb, übernahm einen Großteil der knackigen Dialoge aus Chandlers Romanvorlage. Dazu sorgt die stilsichere Inszenierung von Howard Hawks („Leoparden küsst man nicht“, „Rio Bravo“), die verregnete, düstere Atmosphäre und die kontrastreiche Kameraarbeit von Sidney Hickox („Blutiger Schnee“, „Die schwarze Natter“) dafür, dass „Tote schlafen fest“ ein Meisterwerk der Filmgeschichte geworden ist.
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