Krieg und Frieden

Leo Tolstois (1828-1910) historisches, über 1500 Seiten umfassendes Epos „Krieg und Frieden“, dessen erster Teil 1865 in einer russischen Zeitschrift erschien und nach einer Überarbeitung schließlich 1868/69 in seiner bis heute bekannten Romanform in Moskau veröffentlicht wurde, zu verfilmen kommt einer Mammutaufgabe gleich, der sich 1956 schließlich der ungarisch stämmige US-amerikanische Filmemacher King Vidor (1894-1982) annahm, nachdem sich der italienische Produzent Dino De Laurentiis nicht nur die Rechte, sondern vor allem auch Audrey Hepburn als Hauptdarstellerin gesichert hatte. Der dreieinhalbstündige Monumentalfilm beeindruckt neben dem prominenten Cast – u.a. Henry Fonda, Anita Ekberg und Hepburns damaliger Ehemann Mel Ferrer – vor allem durch seine imponierenden Schlachtenszenen, für die ungefähr 10.000 italienische Statisten eingesetzt wurden. 

Inhalt: 

Die beiden Freunde Andrei Bolkonski (Mel Ferrer) und Pierre Besuchow (Henry Fonda) gehören zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Moskauer Adelsschicht an, sind mit ihrem Schicksal aber alles andere als zufrieden. Während Andrei mit der Anhänglichkeit seiner schönen Frau Marja (Anna Maria Ferrero) und den gesellschaftlichen Verpflichtungen hadert, weiß Pierre, der einzige, aber uneheliche Sohn eines Grafen, nicht so recht, was er mit seinem Leben anfangen soll, und vergnügt sich bei Glücksspielen und der Trinkerei. Nachdem er auch noch das ganze Vermögen seines kürzlich verstorbenen Vaters erbt, hält er sich bevorzugt im Haus der lebensfrohen Moskauer Familie Rostow auf, wo es ihm vor allem die junge und temperamentvolle Natascha (Audrey Hepburn) angetan hat. Während Pierre zunächst die schöne Elena Kuragin (Anita Ekberg) heiratet, die ihn allerdings nur wegen seines Geldes zum Mann nahm und ihn bald offen mit dem leichtlebigen Dolochov (Helmut Dantine) betrügt, verpflichtet sich Andrei als Offizier in der russischen Armee, die er nach Österreich begleitet, um Napoleons (Herbert Lom) Russland-Feldzug entgegenzutreten. Nachdem Andrei vorerst nach Moskau zurückgekehrt ist, muss er zunächst miterleben, wie seine Frau bei der Geburt seines Sohnes verstirbt, doch er trauert nicht lange und verliebt sich in Natascha, die seine Liebe erwidert. Allerdings untersagt Andreis Vater eine sofortige Hochzeit. Die junge Natascha soll erst einige Monate überdenken, ob sie Andrei tatsächlich als die richtige Wahl betrachtet. Während Andrei mit der Friedenskommission nach Tilsit reist, verdreht ihr Elenas Bruder Anatol (Vittorio Gassman) den Kopf, worauf Natascha vorschnell ihre Verlobung mit Andrei auflöst. Als sie erfährt, dass Anatol ein bekannter, auch noch verheirateter Herzensbrecher ist, ist sie untröstlich. Pierre sorgt dafür, dass Anatol aus Moskau verschwindet, und verfolgt, wie Bonaparte Napoleon nach Moskau vorrückt, wobei er die Chance nicht nutzt, den französischen Heeresführer aus dem Hinterhalt zu erschießen. Stattdessen gerät Pierre in Gefangenschaft, schöpft aber durch seinen lebensfrohen Mitgefangenen Platon neuen Lebensmut. Zwar gelingt es Napoleon, Moskau einzunehmen, nachdem die Armee und große Teile des Adels und der Bevölkerung die Stadt bereits verlassen haben, aber der einbrechende russische Winter macht den Franzosen schwer zu schaffen … 

Kritik:

Was Tolstoi so komplex als realistische Beschreibung sowohl der militär-politischen Darstellungen als auch der zaristischen Feudalgesellschaft zur Zeit der napoleonischen Ära in seinem bedeutenden Monumentalwerk „Krieg und Frieden“ vorgelegt hat, kann selbst ein dreieinhalbstündiger Kinofilm nur fragmentarisch skizzieren. King Vidor („Nordwest-Passage“, „Mit stahlharter Faust“) und seine sieben Drehbuch-Mitarbeiter konzentriert sich in seiner Adaption vor allem auf das Kriegsgeschehen einerseits, auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und Persönlichkeitsstrukturen innerhalb des Moskauer Adels andererseits. 
Dabei dienen ihm die stark schwankenden leidenschaftlichen Gefühle, die die so reizend von Audrey Hepburn („My Fair Lady“, „Ein süßer Fratz“) verkörperte Natascha nacheinander für Andrei, Anatol und schließlich Pierre empfindet, als emotionaler Dreh- und Angelpunkt, um deutlich zu machen, wie unterschiedlich die Männer in Nataschas Welt ticken und wie sie mit ihrer gesellschaftlichen Stellung umgehen. Pierre ist der zurückhaltende Gentleman, der seine wahren Gefühle für Natascha lange für sich behält und – obwohl dem Krieg an sich ablehnend gegenüber eingestellt – das kriegerische Treiben an der Front beobachtet, um sich ein eigenes Bild machen zu können und vor allem seinem ziellosen Leben einen Hauch von Abenteuer zu verleihen. 
Henry Fonda („Früchte des Zorns“, „Die zwölf Geschworenen“) spielt dabei ebenso vorzüglich wie Audrey Hepburn die etwas naive, lebensfrohe Natascha, die sich etwas vorschnell in die große Liebe stürzt. Wie sie zwischenzeitlich dem Frauenschwarm Anatol verfällt, ist allerdings nicht besonders überzeugend herausgearbeitet. Und auch Mel Ferrer („Die Ritter der Tafelrunde“, „Unter glühender Sonne“) wirkt etwas steif in seiner Rolle des verhärmten Prinzen, der das Abenteuer des Krieges sucht, um den gesellschaftlichen Fesseln zu entkommen. 
Was „Krieg und Frieden“ aber vor allem auszeichnet, sind die imposanten, realistisch anmutenden Schlachtenszenen. Gerade der Rückzug der französischen Truppen bei Einbruch des russischen Winters ist schmerzlich intensiv in Szene gesetzt worden. Am Ende durfte sich das Epos über immerhin drei Oscar-Nominierungen für die Regie, die Kameraarbeit und die Kostüme freuen. 

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