Spider
David Cronenberg hat sich seit jeher mit der Abnormität der menschlichen Psyche auseinandergesetzt, über weite Strecken in Zusammenhang mit den durch die moderne Technologie und Medien hervorgerufenen Auswirkungen („Videodrome“), dann aber auch durch Drogen („Naked Lunch“) und abnorme sexuelle Stimulationen („Crash“) induziert worden sind. Mit „Spider“ (2002) ging der kanadische Autorenfilmer einen anderen Weg, verfilmte zwar einmal mehr eine Literaturvorlage, schrieb aber erstmals nicht das Drehbuch, sondern ließ es vom entsprechenden Romanautor Patrick McGrath selbst adaptieren. Herausgekommen ist ein ungewohnt stilles Psychodrama, das vor allem durch seinen Hauptdarsteller Ralph Fiennes überzeugt.
Inhalt:
Dennis „Spider“ Cleg (Ralph Fiennes) hat seine Zeit in einer Anstalt für kriminelle Geisteskranke abgesessen und kommt in einem Männerwohnheim unter, das von der resoluten Mrs. Wilkinson (Lynn Redgrave) geführt wird. Zwar wird Spider sofort von seinem älteren Mitbewohner Terrence (John Neville) angesprochen, doch der wortkarge Neuankömmling bleibt lieber für sich, puzzelt im Gemeinschaftsraum und macht sich in seinem Zimmer ständig unleserliche, aber akribische Notizen in ein Heftchen, das er unter einer Teppichecke versteckt hält. Bei seinen einsamen Spaziergängen sucht er die Orte seiner Kindheit auf und erlebt auf diese Weise die tragischen Erlebnisse, die zu seiner Geisteskrankheit geführt haben, noch einmal nach. Damals litt er unter seinem herrschsüchtigen Vater Bill (Gabriel Byrne), der seine Freizeit lieber im örtlichen Pub als mit seiner Frau (Miranda Richardson) verbrachte, die nicht nur unter der Lieblosigkeit ihres Mannes leidet, sondern auch darunter, dass ihr geliebter Spider (Bradley Hall) ohne Freunde aufwächst. Als Spiders Vater mit der nuttigen Yvonne (Miranda Richardson in einer Doppelrolle) eine Affäre beginnt und seine Mutter die beiden im Schuppen in flagranti erwischt, erschlägt Bill seine Frau mit einer Schaufel, begräbt sie im Pflanzenbeet und lässt Yvonne umgehend bei sich einziehen. Dem kleinen Spider macht es schwer zu schaffen, dass seine Mutter durch diese Schlampe ersetzt worden ist, und zieht sich immer mehr in sich zurück, um merkwürdigen Gedanken nachzuhängen …
Kritik:
Nachdem sich David Cronenberg zu Beginn seiner Karriere vor allem einen Namen im Body-Horror-Genre gemacht hat und selbst bis zu seinen jüngeren Filmen „Crash“ (1996) und „eXistenZ“ (1999) nicht ohne die Thematisierung von Deformierungen am menschlichen Körper auskam, widmet er sich in „Spider“ ausschließlich der psychischen Befindlichkeit seines Protagonisten Spider. Während in Cronenbergs früheren Filmen die Figuren nur die Funktion hatten, die Story voranzutreiben, ohne tiefergehend charakterisiert worden zu sein, steht Ralph Fiennes („Der ewige Gärtner“, „Schindlers Liste“) in der Adaption von Patrick McGraths Roman ganz im Zentrum der Geschichte. Dabei wird seine Figur von Beginn an als psychisch gestörte Figur eingeführt, die unverständlich vor sich hinbrabbelt, hieroglyphenartige Notizen macht und sich am liebsten von allen Menschen fernhält. Warum Spider letztlich so geworden ist, dass er in eine Anstalt für kriminelle Geisteskranke eingewiesen werden musste, erschließt sich aus der späteren Parallelhandlung, die damit beginnt, dass er durch das Küchenfenster seiner alten Wohnung blickt und einen Jungen mit seiner Mutter am Küchentisch beobachtet.
Durch geschickten Einsatz filmischer Mittel stellt sich schnell heraus, dass Spider sich selbst als Jungen mit seiner Mutter beobachtet und in der Folge die dramatischen Ereignisse nachempfindet, die mit der Ermordung seiner Mutter durch seinen Vater einen vorläufigen Höhepunkt finden. Doch das Trauma, das der Junge durch den Verlust seiner Mutter erleidet, wird durch die Art und Weise, wie die Geliebte seines Vaters sukzessive die Züge seiner Mutter annimmt, noch verstärkt.
Im Gegensatz zu seinen vorangegangenen Filmen verblüfft Cronenbergs „Spider“ allerdings nicht mit einem Knalleffekt am Ende, sondern lässt das Drama ganz unspektakulär ausklingen. Das passt zwar zu dem ruhigen Erzählduktus des Films, hinterlässt aber keinen nachhaltigen Eindruck, so dass „Spider“ trotz der hervorragenden Darsteller, der stimmungsvollen Kameraarbeit von Peter Suschitzky („Red Planet“, „After Earth“) und Howard Shores verstörend düsteren Score zu den weniger bemerkenswerten Werken in Cronenbergs Schaffen zählt.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen