Little Big Man

Mit „Bonnie und Clyde“ (1967) hat Arthur Penn zusammen mit Mike Nichols‘ „Die Reifeprüfung“ die New-Hollywood-Bewegung maßgeblich mitinitiiert und jenseits des etablierten Studiosystems erfolgreich damit begonnen, nicht nur traditionelle Sehgewohnheiten aufzubrechen, sondern auch die Konventionen verschiedener Filmgenres kritisch zu hinterfragen und ihre Themen neu auszuloten. Gelang Penn mit der Gauner-Ballade „Bonnie und Clyde“ eine Entromantisierung des Gangsterfilms, räumte er drei Jahre später mit einem weiteren Mythos auf und präsentierte mit „Little Big Man“ einen epischen Anti-Western, der vor allem durch Dustin Hoffmans Performance in der Hauptrolle, aber auch durch seinen ebenso unerbittlichen wie humorvollen Ton besticht. 

Inhalt: 

Jack Crabb (Dustin Hoffman) bezeichnet sich selbst als der einzige weiße Überlebende der Schlacht am Little Bighorn, jener erinnerungswürdigen Schlacht, bei der George Armstrong Custers Regiment am 25. Juni 1876 vernichtend von Indianern der Sioux, Arapaho und Cheyenne geschlagen wurde. Als interessanter Zeitzeuge wird der heute 121-jährige Crabb noch immer im Altenheim von Reportern und Forschern aufgesucht, damit er ihnen etwas über die Lebensweise der Indianer erzählt. Um der Arroganz eines Reporters gegenüber den „primitiven“ Ureinwohnern entgegenzuwirken, befiehlt er seinem Besucher, das Aufnahmegerät einzuschalten und den Mund zu halten. Was folgt, ist die abenteuerliche Lebensgeschichte von Jack Crabb: Als Zehnjähriger wird Crabbs Familie von einer Horde wilder Indianer überfallen. Der Junge und seine ältere Schwester Caroline (Carol Androsky) überleben zum Glück und werden von dem Cheyenne Shadow That Comes In Sight (Ruben Moreno) in seine Siedlung mitgenommen worden, wo sich der Häuptling Old Lodge Skins (Chief Dan George) sich seiner als eine Art Großvater annimmt, während Caroline aus Angst vor Vergewaltigungen heimlich die Flucht ergreift. Jack gefällt es, als Junge mit seinen zahlreichen indianischen Spielkameraden aufzuwachsen und zu lernen, wie man sich an Büffelherden heranschleicht und mit Pfeil und Bogen schießt. Allerdings hört er früh zu wachsen auf und wird als „kleiner Junge“ gehänselt. Doch getreu der Geschichte, die Jacks selbsternannter Großvater über einen mutigen Indianer namens Little Man erzählt, der größere Tapferkeit bewies als seine Stammesgenossen, rettet Jack seinem Stammesbruder Younger Bear (Cal Bellini) bei einer Auseinandersetzung mit Pawnee-Indianern das Leben und wird mit einer Zeremonie mit dem Namen Little Big Man versehen. Bei einem weiteren Gefecht, diesmal mit einer Einheit der US-Armee, kommt der als Indianer geschminkte junge Mann nur deshalb mit dem Leben davon, weil er General Custer (Richard Mulligan) davon überzeugen kann, dass er Angloamerikaner sei. Crabb wird zunächst in die Obhut der kinderlosen Pfarrersfamilie Pendrake gegeben, wo sich der junge Mann gegenüber der sexuellen Annäherungen der bigotten Ehefrau des Predigers, Mrs. Pendrake (Faye Dunaway) erwehren muss und sich darauf dem Quacksalber Mr. Merriweather (Martin Balsam) anschließt, der den Siedlern seine selbstgebrannte Mixtur als Wunderheilmittel andreht. Als eine Bürgerwehr den Schwindel aufdeckt und Merriweather und seinen Gehilfen teert und federt, erkennt Jack, dass es sich bei der Anführerin um seine nun erwachsene Schwester Caroline handelt, die Jack das Schießen beibringt. Doch sein Leben als Revolverheld beendet er sofort, als er Zeuge wird, wie „Wild Bill“ Hickok (Jeff Corey) in einem Saloon einen Mann erschießt. 
In dem Bestreben, ein ehrbares Dasein zu führen, heiratet er die einfältige schwedische Einwanderin Olga (Kelly Jean Peters) und gründet mit einem Partner ein Geschäft, doch erweist sich dieser als Betrüger. Olga wird auf der Weiterreise von Indianern entführt, und nach der erfolglosen Suche, die Jack schließlich zu einem Eremiten in der Wildnis werden lässt, stößt er wieder zu dem Indianerstamm seines Großvaters. Fortan bleibt Jack hin- und hergerissen zwischen seinem Leben bei den „Menschenwesen“ und den Weißen, bis er sich während der Schlacht am Little Bighorn entscheiden muss, auf welcher Seite er stehen will … 

Kritik: 

Nach dem gleichnamigen, 1964 erschienenen Roman von Thomas Berger schuf Drehbuchautor Calder Willingham („Wege zum Ruhm“, „Die Reifeprüfung“) eine epische Geschichte, die gründlich mit dem Mythos von der Eroberung des Wilden Westens aufräumte und die Arthur Penn („Einer muss dran glauben“, „Unter anderer Sonne“) ebenso zynisch wie parodistisch wie die Romanvorlage auf der Leinwand umsetzte. Indem der außergewöhnliche Protagonist wie selbstverständlich zwischen unvereinbar geltenden, feindlich gegenüberstehenden Kulturen wandelt, erlebt er, mit welchen unverrückbaren Vorurteilen die jeweiligen Welten einander betrachten. 
Interessanterweise lernt der von Dustin Hoffman („Die Reifeprüfung“, „Wer Gewalt sät“) famos verkörperte Jack Crabb/Little Big Man auf Seiten der Indianer mehr über Mut, Respekt und Rechtschaffenheit als bei den Weißen, wo er am eigenen Leib erfahren muss, dass man nur im Leben weiterkommt, wenn man lügt und betrügt, seine Ambitionen mit purer Gewalt verwirklicht. Der Film entstand in einer Zeit der Studentenrevolten, Rassenkrawalle, Bürgerrechtsbewegungen und des Vietnamkriegs und nahm sich dessen Paradigmen an, indem die Indianer als „Menschenwesen“ bezeichnet werden, die die Natur verehren und selbst die freie Liebe praktizieren, während die Weißen vor allem in der Gestalt von General Custer als neurotisch, selbstverliebt und dem Wahnsinn nah dargestellt werden. 
Little Big Man wandelt nicht nur problemlos zwischen beiden Kulturen hin und her, sondern übersteht auch jede persönliche Krise irgendwie unbeschadet, sowohl seinen Bankrott als Geschäftsmann als auch die gewaltsame Trennung von seiner Frau, die drohende Verurteilung als Spion und den Abstieg zum Säufer. Er verliert nie den Mut, das Richtige zu tun, und versucht sogar, General Custer davon abzuhalten, mit seiner Armee in das Gebiet zu reiten, wo die Indianer bereits auf ihn warten. Die Art und Weise, wie Custer die Schlacht am Little Bighorn verliert, räumt kräftig mit seinem überlieferten Bild als Kriegsheld auf und entlarvt ihn als Völkermörder. 
Ob aber der 121-jährige Jake Crabb wirklich die wahre Geschichte seines Lebens bei den Indianern und mit General Custer erzählt, bleibt letztlich dem Zuschauer überlassen. Auf jeden Fall bietet Arthur Penn mit seinem epischen Anti-Western eine diskussionswürdige Alternative zu den Mythen, die das Western-Genre bis in die 1940er Jahre hinein nicht müde wurde zu zementieren. 

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