Frau ohne Gewissen
Der aus Österreich stammende Billy Wilder ist vor allem für Komödien wie „Das verflixte 7. Jahr“ (1955), „Manche mögen’s heiß“ (1959), „Das Appartement“ (1960), „Avanti, Avanti!“ (1972) und „Extrablatt“ (1974) berühmt geworden, doch seinen Durchbruch verdankt er einem Werk, der das Genre des Film noir maßgeblich mitprägte und vor allem durch die Mitarbeit von Hardboiled-Krimi-Autor und Philip-Marlowe-Schöpfer Raymond Chandler an Klasse gewann. In „Frau ohne Gewissen“ (1944) gelingt es zudem Hauptdarstellerin Barbara Stanwyck, den Prototyp der emanzipierten Femme fatale zu etablieren.
Inhalt:
Der Versicherungsagent Walter Neff (Fred MacMurray) will die Auto-Versicherungspolice von Mr. Dietrichson (Tom Powers) verlängern lassen, trifft aber im Haus seines Klienten nur dessen Frau Phyllis (Barbara Stanwyck) an, die ihn nach einem Sonnenbad nur mit einem Handtuch bedeckt empfängt. Neff ist sofort vom Auftreten und Duft der selbstbewussten Blondine betört und denkt nur noch daran, sie bald wiederzusehen. Tatsächlich lädt Phyllis den Vertreter zwei Tage für den Abend ein, da ihr Mann dann wahrscheinlich nach seiner Arbeit auf den Ölfeldern zuhause sei, doch als Neff die Verabredung wahrnimmt, sind weder Mr. Dietrichson noch die Haushälterin Nettie anwesend. Geschickt umgarnt die attraktive Hausherrin ihren Gast, beginnt eine Affäre mit ihm und schmiedet schließlich Mordpläne gegen ihren verhassten Ehemann. Dazu lässt Neff später Mr. Dietrichson ohne dessen Kenntnis eine hohe Unfallversicherung unterschreiben, die im Todesfall die doppelte Summe auszahlt.
Neff bucht eine Zugfahrt auf Dietrichsons Namen, sorgt dafür, dass er als Invalide an Gehhilfen im Zug wahrgenommen wird, springt in einem unbeobachteten Moment während der Fahrt vom Zug und lässt sich von Phyllis mit dem Auto an der Strecke abholen, wo sie Dietrichsons Leiche entsprechend als Unfallopfer präparieren. Zunächst glaubt Neffs auf Betrügereien spezialisierter Kollege und Freund Barton Keyes (Edward G. Robinson), dass hier eine klare Sache von Tod durch Unfall vorliegt, doch später kommen ihm Zweifel. Er entwickelt sogar die Theorie, dass die verdächtige Witwe noch einen Helfer bei der Durchführung ihres Plans hatte. Und auch Phyllis‘ Stieftochter Lola (Jean Heather) ist fest davon überzeugt, dass Phyllis ihren Vater umgebracht habe …
Kritik:
Bereits mit seinem ersten Roman „The Postman Always Rings Twice“ gelang dem amerikanischen Journalisten und Schriftsteller James M. Cain 1934 ein Erfolg, der nicht nur mehrfach verfilmt wurde, sondern auch das Genre des Roman noir mitbegründete. Zwei Jahre später gelang ihm mit „Double Indemnity“ ein ähnlich großer Erfolg. Nachdem sich Pierre Chenal (1939) und Luchino Visconti (1942) des Romandebüts angenommen hatten, wagte sich Billy Wilder mit seiner erst vierten Regiearbeit 1944 an James M. Cains „Double Indemnity“. Wieder wird die Handlung aus der Perspektive des Täters beschrieben, erneut fungiert eine attraktive Femme fatale als treibende Kraft bei dem geplanten und durchgeführten Verbrechen.
Um bei den Dialogen für die nötige erotische Spannung zu sorgen, bekam Wilder Raymond Chandler als Co-Autoren zur Seite gestellt. Auch wenn sich die Zusammenarbeit schwierig gestaltete, ist „Frau ohne Gewissen“ letztlich ein leuchtendes Paradebeispiel für den Film noir geworden. Wilder erzählt die Geschichte aus der Perspektive des Versicherungsagenten Walter Neff, der seine Story wiederum als Rückblick präsentiert und immer wieder aus dem Off kommentiert.
Vor allem als männlicher Zuschauer gelingt es einem leicht, durchaus Sympathien für Neff zu entwickeln. Sich für eine attraktive, kokett verführerische Frau in ein Verbrechen hineinziehen zu lassen erscheint hier mehr als verständlich. Dagegen erweist sich die famos von Barbara Stanwyck gespielte Phyllis Dietrichson im Verlauf der Handlung zunehmend als kalt berechnende und manipulierende Femme fatale, die nur auf ein unabhängiges Leben mit einem fetten finanziellen Polster aus ist.
„Frau ohne Gewissen“ überzeugt auch in der sorgfältigen Charakterisierung der Figuren, die durch das geschickte Spiel mit Licht und Schatten in der Kameraführung wunderbar unterstützt wird.
Edward G. Robinson („Die zehn Gebote“, „Gangster in Key Largo“) spielt hier nur die dritte Geige und überrascht als gewitzter Versicherungsspezialist für Betrugsfälle, erhielt aber eine ebenso hohe Gage wie die beiden Hauptdarsteller. Barbara Stanwyck war in der Folge in weiteren Film-noir-Filmen wie „Die seltsame Liebe der Martha Ivers“ (1946), „Du lebst noch 105 Minuten“ (1948), „Spielfieber“ (1949) und „Entgleist“ (1950) zu sehen, während Fred MacMurray wieder ins leichtere Fach wechselte, aus dem er ursprünglich kam.
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