Der Mann aus dem Westen
Anthony Mann darf als einer der vielseitigsten Regisseure in Hollywood betrachtet werden. Nach Film noirs in den 1940er Jahren wie „Geheimagent T“, „Flucht ohne Ausweg“ und „Der parfümierte Killer“ drehte er in den 1950er Jahren vor allem Western mit James Stewart („Winchester 73“, „Meuterei am Schlangenfluss“, „Nackte Gewalt“), um zum Ende seiner Karriere hin noch ein paar Monumentalfilme dranzuhängen („El Cid“, „Der Untergang des Römischen Reiches“). Zu seinen bemerkenswertesten Western zählt „Der Mann aus dem Westen“ mit Gary Cooper, Lee J. Cobb und Julie London in den Hauptrollen.
Inhalt:
Der ehemalige Ganove Link Jones (Gary Cooper) hat sich in der Kleinstadt Good Hope ein Leben als ehrbarer Bürger aufgebaut und ist mit einer erklecklichen Summe Geld mit dem Zug nach Fort Worth unterwegs, um dort eine Lehrerin für den Nachwuchs im Ort zu engagieren. Doch während Heiz-Nachschub für die Lokomotive geladen wird, versucht eine schlecht organisierte Bande, den Zug auszurauben. Gemeinsam mit der aparten Saloon-Sängerin Billie Ellis (Julie London) und dem geschwätzigen Spieler Sam Beasley (Arthur O’Connell) bleibt Jones auf der Strecke zurück, seines Geldes beraubt, während der Zug seine Fahrt rasch wieder aufnimmt und die Banditen flüchten.
Doch Link kennt sich in der Gegend aus und bringt seine beiden Mitreisenden zu einer Hütte, wo er neben den Zugräubern auch ihren Anführer Dock Tobin (Lee J. Cobb) antrifft, der Link einst unter seine Fittiche genommen hatte.
In seiner Not gibt der mittellose Link an, zur Bande zurückgekehrt zu sein, um die Zeiten des glorreichen Verbrechens wieder aufleben zu lassen, wobei er die schöne Sängerin als seine Frau vorstellt, was einige von Tobins Männern aber nicht daran hindert, Billie nachzustellen und zu erniedrigen. Tobin will einen letzten großen Überfall durchziehen, bevor auch er sich zur Ruhe setzen wird. Um seine Begleiter vor den Dieben zu schützen, erklärt Link seine Bereitschaft zur Teilnahme, doch da Dock längst nicht mehr der Anführer ist, der er einst war, macht sich unter seinen Männern Unmut breit, als sie sich durch den neuen Mann in ihren Reihen bedroht fühlen…
Kritik:
Anthony Mann drehte „Der Mann aus dem Westen“ nach dem gleichnamigen Debütroman von Will C. Brown und besetzte Gary Cooper in einer ähnlich Einzelgänger-Rolle wie in Fred Zinnemanns „12 Uhr mittags“. Es ist ein für die 1950er Jahre ungewöhnlich düsterer Western, in dem Coopers Rolle als Symbolfigur zwischen der Vergangenheit und Zukunft agiert. Bezeichnend ist hier die Szene am Bahnsteig, wenn Link vor dem einfahrenden, dampfenden Zug zurückspringt. Es ist seine erste Begegnung mit der Zukunft, die mit seiner Vergangenheit als Gangster nichts mehr zu tun haben soll. Der Überfall auf den Zug und der Rückzug in seine alte Wirkungsstätte mit dem Wiedersehen seines alten Lehrmeisters führt allerdings zu einer erneuten Auseinandersetzung mit seiner kriminellen Vergangenheit.
Anthony Mann und sein Drehbuchautor Reginald Rose („Die zwölf Geschworenen“) erzeugen die Spannung vor allem durch die Interaktionen der Protagonisten untereinander, die sich kritisch beäugen und abschätzen, was sie von den jeweils anderen zu halten haben. Während Coopers Link die jeweilige Situation in Ruhe und mit Vernunft zu beurteilen versucht, steigert sich der alternde Tobin immer mehr in eine Raserei, mit der er auch seine unerfahrenen Gefolgsleute verunsichert.
„Der Mann aus dem Westen“ überzeugt mit feinen Charakterzeichnungen und dem Spannungsfeld zwischen Loyalität und Überlebenskampf, der mit dem Abschließen der alten Ordnung einhergeht. Für Nouvelle-Vague-Mitbegründer Jean-Luc Godard zählte „Der Mann aus dem Westen“ deshalb zu den besten Filmen des Jahres 1958, womit er für eine weithin größere Aufmerksamkeit für das Werk von Anthony Mann sorgte.
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