Herz aus Glas
Zu Beginn seiner produktiven Karriere als Drehbuchautor, Produzent und Regisseur hat der aus Bayern stammende Werner Herzog vor allem Dokumentarfilme wie „Behinderte Zukunft“, „Land des Schweigens und der Dunkelheit“ und „Fata Morgana“ (alle 1971) gedreht, bevor er mit „Aguirre, der Zorn Gottes“ (1972), seiner ersten Zusammenarbeit mit Klaus Kinski, und „Kasper Hauser – Jeder für sich und Gott gegen alle“ (1974) den Durchbruch als Spielfilmregisseur schaffte. 1976 folgte mit „Herz aus Glas“ der wohl ungewöhnlichste und radikalste Film in Herzogs vielseitigem Werk.
Inhalt:
Von apokalyptischen Visionen verfolgt, sitzt der Hirte Hias (Josef Bierbichler) auf einer Bergkette und lässt den Blick in die Ferne schweifen. Er sieht in die Tiefe stürzende Wassermassen, fühlt sich mit ihnen herabgerissen. Er erlebt Untergang und Neuanfang, sieht Atlantis versinken und wieder aufgehen. Und er sieht das Tal zu seinen Füßen, in dem alles seinen Anfang nimmt.
Dort, in einem vorindustriellen Dorf irgendwo in Bayern, ist der lokale Glasbläser verstorben und hat das Rezept seines Rubinglases mit ins Grab genommen. Ihrer wirtschaftlichen Grundlage beraubt, versinkt die Bevölkerung in Armut und katatone Starre. Der adelige Glashüttenbesitzer (Stefan Güttler) verlangt nach Hias, in dessen prophetischer Gabe er die letzte Möglichkeit sieht, dem Toten sein Geheimnis zu entreißen. Als der Seher sich ihm aber verweigert, legt der irrsinnige Adelsmann ein Feuer in der Glashütte. Aller Klarsicht beraubt, machen die Dörfler den Propheten für das Desaster verantwortlich. Doch Hias kann fliehen. Fast selbst schon dem Wahn verfallen, weist ihm eine letzte Vision den Weg in die Zukunft...
Kritik:
Der weitgereiste Filmemacher Werner Herzog kehrte für „Herz aus Glas“ in seine Heimat Bayern zurück, wo er den Großteil des Films drehte. Die apokalyptischen Visionen, die der Hirte Hias, den Herzog und Drehbuch-Autor Herbert Achternbusch dem legendären bayrischen Propheten Mühlhiasl nachempfunden haben, zu Beginn aus dem Off vor dem Hintergrund verschwommener Naturbilder wiedergibt, geben den Ton für einen Film vor, der wie eine mystische Bildmalerei wirkt.
Das hängt nicht nur mit den magisch anmutenden Bildkompositionen zusammen, die Jörg Schmidt-Reitwein („Nosferatu: Phantom der Nacht“, „Wo die grünen Ameisen träumen“) geschaffen hat, sondern mit den vorgeblich hypnotisierten Darstellern, die mit ihren oft improvisierten Dialogen eine ganz besonders verträumte, entrückte Atmosphäre verleihen.
Einzig der Hias-Darsteller und die professionellen Glasbläser treten im normalen „Wachzustand“ auf, doch tut das der metaphysischen Stimmung, in der die Bewohner des kleinen namenlosen Dorfes im Bayern des 19. Jahrhunderts der Hoffnungslosigkeit und dem Wahnsinn verfallen, keinen Abbruch. Dafür sorgt auch der hypnotische Score von Popol Vuh, die seit „Aguirre, der Zorn Gottes“ über Jahre die Musik für einzelne Herzog-Filme beigesteuert haben.
So gelingt Herzog ein apokalyptisches Drama über verzweifelte Menschen, die sich der wirtschaftlichen Grundlage ihrer Existenz beraubt sehen und die irrwitzigsten Auswege aus ihrer Not suchen. „Herz aus Glas“ zählt zwar zu den weniger bekannten Werken Herzogs, doch hat dieses intim wirkende, sehr persönliche Drama bis heute nichts von seiner bedrückenden Faszination verloren.
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