Die Zeit, die bleibt
In „Unter dem Sand“ (2000), dem ersten Teil von François Ozons „Trilogie über die Trauer“, verkörperte Charlotte Rampling eine Frau, die sich mit dem Tod eines geliebten Menschen auseinandersetzen muss. Fünf Jahre später ließ der französische Filmemacher mit „Die Zeit, die bleibt“ ein weiteres existenzialistisches Drama über die Konfrontation mit dem Tod, diesmal aber mit der eigenen Sterblichkeit, folgen.
Inhalt:
Der gerade mal 31 Jahre alte schwule Fotograf Romain (Melvil Poupaud) bricht bei einem Modeshooting ohnmächtig zusammen und erfährt nach der ärztlichen Untersuchung, dass er unheilbar an einem bösartigen Tumor erkrankt ist, der bereits auf andere Organe gestreut hat und Romains Überlebenschance auf weniger als fünf Prozent reduziert, selbst bei einer Behandlung mit Infusionen und Bestrahlung. Der extrem selbstbezogene und arrogante Fotograf lehnt eine solche Behandlung ab und geht auf eigene Weise mit der erschütternden Nachricht um, dass er vielleicht nur noch drei Monate (so der vergleichbare Durchschnittswert) zu leben hat. Er gibt seine Arbeit auf und besucht seine Familie, ohne sie von seiner Krankheit in Kenntnis zu setzen, beleidigt aber einmal mehr seine Schwester Sophie (Louise Ann Hippeau), weil er Kinder nicht leiden kann, ihre schon gar nicht.
Auch seinen Freund Sasha (Christian Sengewald) setzt er nach einer letzten Nummer vor die Tür. Einzig seiner Großmutter Laura (Jeanne Moreau) schenkt er reinen Wein ein und nimmt ihren Rat an, sich mit seiner Vergangenheit auszusöhnen. Dabei hilft ihm überraschenderweise die Kellnerin Jany (Valeria Bruni Tedeschi), deren Mann zeugungsunfähig ist…
Kritik:
Auch wenn sich Ozon in seinem achten Film nur knapp 80 Minuten Zeit nimmt, um die Auseinandersetzung seines Protagonisten mit dem nahenden Tod einzufangen, nimmt sich der Filmemacher, der auch das Drehbuch verantwortet, viel Zeit, seinen zunächst bis zur Farce arroganten Protagonisten, den gerade mal 31-jährigen Fotografen Romain dem Publikum vorzustellen. Dieser bewegt sich am Set ebenso wie ein Arschloch wie im familiären Umfeld oder in der Partnerschaft.
Die erschütternde Diagnose mit der sehr überschaubaren Lebenserwartung macht aus Romain allerdings sukzessive einen anderen Menschen. Zu seiner Großmutter, die sich in ihrem Leben ebenfalls sehr egoistisch und ihren Mitmenschen gegenüber verletzend präsentierte, empfindet Romain echte emotionale Nähe, weshalb er ihren Rat auch zu Herzen nimmt. Zumindest mit seiner Schwester kommt es wie zu erwarten zu einer Aussöhnung, das Wiedersehen mit Sasha verläuft allerdings anders als geplant und führt eindringlich vor Augen, wie Romain nun auch seine Umwelt einfühlsamer wahrnimmt.
Ozon gelingt es, die letzten Tage und Wochen seines Protagonisten als innere Emigration darzustellen, die ohne dramatisierende Effekte auskommt. Vielmehr erinnert sich der zunehmend verletzlich wirkende Romain an schöne Kindheitserlebnisse, beginnt Kinder mit anderen Augen zu sehen, nämlich als Versprechen an die Zukunft, als Fortsetzung des eigenen Lebens. Hier wirkt die Episode mit der Kellnerin, die nach Absprache mit ihrem Mann ihren Kinderwunsch äußert, den Romain mittels Geschlechtsaktes mit ihr erfüllen soll, etwas arg konstruiert. Dafür beweist die Sexszene der Zeugung einmal mehr, wie originell Ozon erotische Szenen zu inszenieren versteht.
So schnörkellos und spröde „Die Zeit, die bleibt“ über weite Strecken auch ausgefallen ist, stimmt er doch nachdenklich. Schließlich ist der eigene Tod für alle von uns ein Thema, mit dem sich so oder so auseinandergesetzt werden muss.
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