Auch Zwerge haben klein angefangen
Bereits mit seinem Langfilmdebüt „Lebenszeichen“ (1968) hat der bayrische Autorenfilmer Werner Herzog das Leben von Menschen am Rande der Gesellschaft und Visionen vom Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung thematisiert. Mit seiner Groteske „Auch Zwerge haben klein angefangen“ (1970) geht der immer wieder provozierende Herzog noch einen Schritt weiter.
Inhalt:
Die kleinwüchsigen Bewohner eines Erziehungsheimes mit getrennten Wohnheimen für Männer und Frauen in einer abgelegenen kargen Provinz planen einen Ausflug. Aus disziplinarischen Gründen dürfen einige von ihnen aber nicht teilnehmen, worauf die Zurückgelassenen die Abwesenheit des Direktors ausnutzen, um aus der gewohnten Ordnung auszubrechen und mit blinder Wut und ziellosen Aktionen das zu vernichten versuchen, was ihnen gerade in die Hände gelangt.
Als der Aufsicht führende Erzieher einen der Rädelsführer in Gewahrsam nimmt, ihn auf einem Sessel fesselt und sich mit ihm im Büro des Direktors verschanzt, nimmt die Aggression der Aufrührer auch untereinander zu, bis die Zwerge frustriert feststellen müssen, dass ihre ziellosen Aktionen ins Leere laufen und sich eine neue Hackordnung unter ihnen zu bilden beginnt…
Kritik:
Die ersten Langfilme von Werner Herzog sind alles andere als leicht zugänglich. Nach seinem Debüt mit dem düsteren Drama „Lebenszeichen“ folgte eine aus der Dokumentation „Die fliegenden Ärzte von Ostafrika“ (1969), der Groteske „Auch Zwerge haben klein angefangen“ (1970) und dem meditativen Wüsten-Drama „Fata Morgana“ (1971) bestehende inoffizielle Trilogie, die weit entfernt vom herkömmlichen deutschen Kino angesiedelt war.
Hinter dem zunächst einmal witzig anmutenden Titel von Herzogs zweitem Spielfilm, „Auch Zwerge haben klein angefangen“, steckt nicht nur ein etwas skurriler Humor, mit dem die vom Ausflug ausgeschlossenen Zwerge den Aufstand im Erziehungsheim proben, sondern einmal mehr ein gutes Stück Gesellschaftskritik. Einmal mehr macht sich Herzog die Perspektive von Randfiguren der bürgerlichen Gesellschaft zu eigen, um die Diskrepanzen zwischen individuellen Träumen zur Selbstverwirklichung und herrschender Gesellschaftsordnung aufzuzeigen.
Waren es in Herzogs Debüt „Lebenszeichen“ noch drei während des Zweiten Weltkriegs in Griechenland auf sich allein gestellte deutsche Soldaten, die mit der flirrenden Hitze und zunehmender Langeweile nicht zurechtkamen, dienen die Zwerge in Herzogs zweitem Spielfilm als Projektionsfiguren für Menschen, die sich in einer übermächtig erscheinenden Welt nicht anders zu helfen wissen, als mit Gewalt gegen die bestehende Ordnung vorzugehen.
Dabei richtet sich die Wut der Zwerge zunächst einmal gegen wehrlose Tiere. Eine Sau wird getötet, ein Insekten-Konvolut zu einer Hochzeitsgesellschaft geformt, schließlich ein kleiner Affe an ein Kreuz gebunden und in einer surreal anmutenden Prozession durch die Anlage des Erziehungsheims getragen. Es scheint, als wären die Zwerge von ihrem Verhalten selbst irritiert, brechen sie doch in kollektives Gelächter aus, ohne dass ein Auslöser dafür erkennbar wäre.
Das wird besonders deutlich, als sie ein Auto im Kreis fahren lassen und es mit Dingen bewerfen. Wie der demolierte Wagen drehen sich auch die Zwerge im Kreis, ihre Aggression findet kein lohnendes Ziel und führt letztlich nirgendwohin. Das irrwitzige und nicht enden wollende Gelächter von Hombre hallt über den Abspann hinaus in den Köpfen des Publikums wider und lässt es verstört zurück.
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