Die Stunde des Wolfs
Mit „Die Stunde des Wolfs“ präsentierte der schwedische Autorenfilmer Ingmar Bergman 1968 den Auftakt seiner sogenannten Fårö-Trilogie, die in kurzer Zeit mit „Schande“ (1968) und „Passion“ (1969) vollendet wurde. Mit seinen Lieblingsstars Max von Sydow und Liv Ullmann in den Hauptrollen zählt „Die Stunde des Wolfs“ zu den verstörendsten Werken des Meisterregisseurs.
Inhalt:
Seit sieben Jahren lebt Alma (Liv Ullmann) mit dem Maler Johan Borg (Max von Sydow) auf der Insel Baltrum in einer kleinen Hütte, nachdem der Künstler eine existentielle Krise zu bewältigen hatte. Doch die Dämonen, von denen sich Johan verfolgt fühlt, haben auch den Weg zu ihm auf die Insel gefunden, so der sogenannten Vogelmensch und die Frau mit dem Hut. Wird das Geld zu knapp, arbeitet Alma für eine Weile auf dem Festland, um dann zu Johan zurückzukehren. Haben sie anfangs noch die liebevolle, stille Zweisamkeit in vollen Zügen genossen, wachsen zunehmend bedrohliche Schatten über ihrem Glück, als Johan dermaßen von massiven Ängsten vor der Dunkelheit geplagt wird, dass er gemeinsam mit Alma die Nächte durchwacht und sich erst mit der dumpfen Müdigkeit des Morgengrauens zur Bettruhe begibt.
Eines Tages erscheint eine alte Frau vor der Hütte (Naima Wifstrand) und weist Alma auf das unter Johans Bett versteckte Tagebuch hin, in dem er seine Begegnungen festhält. Nach kurzem Zögern beginnt Alma, in Johans Tagebuch zu lesen und so zu erfahren, dass er nicht nur von aufdringlichen Besuchern, sondern auch von Erinnerungen an seine frühere Geliebte Veronica Vogler (Ingrid Thulin) heimgesucht wird.
Später macht Johan die Bekanntschaft des ebenfalls auf der Insel lebenden Barons von Merkens (Erland Josephson), der sich als Bewunderer Johans ausgibt und ihn gemeinsam mit Alma zu einem kleinen Fest auf dem Schloss einlädt.
Dort traktieren die Gäste Johan mit unangenehmen Fragen zu seiner Person und Vergangenheit. Auf dem Rückweg versichert Alma Johan, dass sie zu ihm halten werde, auch wenn sie Angst habe, dass die Dämonen sie auseinanderbringen wollten, doch Almas loyale Beteuerungen können eine gewaltsame Eskalation in ihrer Beziehung nicht verhindern…
Kritik:
Eingebettet in Regieanweisungen, die Bergman seinen Mitarbeitern für die Aufnahme der nächsten Szene gibt, erzählt „Die Stunde des Wolfs“ die Geschichte einer schwer gestörten Liebesbeziehung, die vor allem durch die Wahnvorstellungen des Malers Johan Borg verursacht wird. So lässt Bergman dessen Frau Alma von dem mysteriösen Verschwinden ihres Mannes in der Rückschau berichten, doch in der Folge verwischen sich nicht nur Almas Eindrücke mit den ihres Mannes, sondern auch Wirklichkeit, Traum und Wahnvorstellungen.
Bereits das plötzliche Auftauchen der alten Frau mit Hut und ihr konkreter Hinweis auf Johans Tagebuch setzen den mysteriösen Ton, der in der Folge an brutaler Dramatik gewinnt. Eindrucksvoll fangen Bergman und sein Stamm-Kameramann Sven Nykvist die visualisierten Begegnungen und Ängste ein, denen sich Johan Borg ausgesetzt sieht. Vor allem die Episode mit dem Jungen beim zunächst unschuldig wirkenden Angeln lässt dem Zuschauer das Blut in den Adern gefrieren, aber auch Johans bedrückende Besuche auf dem Schloss steigern das Unwohlsein nicht nur des Protagonisten, sondern gleichsam des Publikums.
Bergman ließ sich für seinen Film, dessen Manuskript bereits 1965 unter dem Titel „Der Menschenfresser“ entstand, von Axel Fridells Radierung „Den gamla antikvitetshandeln“ (Little Dorrit) ebenso inspirieren wie von E.T.A. Hoffmann, dessen Werken er die Namen Lindhorst, Heerbrand und Kreisler entnommen hatte, und Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Die Zauberflöte“, aus der er die vielsagende Szene aufführen lässt, in der Tamino Antwort auf die Frage sucht, ob die von ihm gesuchte Pamina noch lebt: „O ew’ge Nacht! Wann wirst du schwinden?“
Damit thematisiert er ganz konkret Johans Ängste vor der Dunkelheit, die er auf zermürbende Weise durchwacht. Max von Sydow und Liv Ullmann verleihen dem abgeschieden lebenden Paar die nötige Glaubwürdigkeit, Bergmans Inszenierung jedoch schwebt irritierend zwischen Melodram und surrealem Horror, in dem sich die Übergänge zwischen Wachsein, Traum und Phantasterei zunehmend fließend gestalten.
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