Die rote Lola

Die Übertragung von Schuld von einer Person auf die andere und Flucht des unschuldig Verfolgten vor der oft als unfähig dargestellten Polizei zählen zu den wesentlichen Elementen in vielen von Hitchcocks Filmen. In „Die rote Lola“ (1950) hat der Master of Suspense allerdings sehr geschickt mit dieser Erwartungshaltung gespielt und ein buntes Ensemble mit außergewöhnlichen Eigenschaften zu einem augenzwinkernd inszenierten Whodunit versammelt.
Als die bekannte Theaterschauspielerin Charlotte Inwood (Marlene Dietrich) mit blutverschmiertem Kleid ihrem Geliebten Jonathan Cooper (Richard Todd) offenbart, dass sie ihren Mann umgebracht hat, bietet Jonathan ihr an, aus ihrer Wohnung ein neues Kleid zu besorgen, damit sie direkt zu ihrer Probe ins Theater fahren kann. Doch während der junge Mann in der Inwood-Wohnung die Spuren verwischt und den Mord als Raubmord inszeniert, wird er von Charlottes Hausmädchen Nellie (Kay Walsh) überrascht. Da er nicht sagen kann, ob Nellie ihn erkannt hat, taucht Jonathan zur Sicherheit unter und wird von der Polizei schließlich auch verdächtigt, den Mann seiner Geliebten umgebracht zu haben. Als er seiner Jugendfreundin Eve Gill (Jane Wyman) davon erzählt, wie er durch seine bloße Hilfsbereitschaft zu einem Tatverdächtigen wurde, bietet sie ihm an, ihn bei sich zu verstecken. Da die angehende Schauspielerin immer noch in Jonathan verliebt ist und ihm seine Geschichte glaubt, zieht sie auch ihren Vater, den liebenswerten Commodore Gill (Alastair Sim), ins Vertrauen und macht sich mit ihm zusammen daran, Beweise für Jonathans Unschuld zu finden. Dazu gibt sie sich dem zuständigen, äußerst charmanten Detective Wilfred Smith (Michael Wilding) gegenüber nicht nur als Reporterin aus, um an Details zur Ermittlung zu gelangen, sondern heuert auch bei der Inwood als Ersatz für Nellie an, die sich ihr Stillschweigen über Jonathans Beteiligung an dem Mord bezahlen lassen will …
Bereits mit der Eröffnungssequenz, in der Eve durch ihren Jugendfreund erfährt, dass er verdächtigt wird, den Mann seiner Geliebten umgebracht zu haben, konfrontiert Hitchcock den Zuschauer mit dem vertrauten Aspekt des unschuldig Verfolgten, ehe er in der Rückblende die Ereignisse zunächst aus Jonathans Perspektive schildert. Bereits in der Begegnung der divenhaften und blutbefleckten Schauspielerin und ihrem naiv wirkenden Geliebten wird deutlich, dass die durchtriebene Schönheit eine Rolle spielt und Jonathan genau das machen lässt, was sie beabsichtigt, nämlich den Verdacht von sich auf ihn zu lenken. Doch Hitchcock erweist sich auch auf anderen Ebenen erneut als Meister der Täuschung, und die Theaterumgebung dient einmal mehr als unerschöpfliche Spielwiese für falsche Fährten und ungewöhnliche Rollen. Das trifft nicht nur auf den ungewöhnlich charmanten, aber wenig cleveren Polizisten zu, der schließlich Eves Herz zu gewinnen versteht, sondern auch auf Eves getrennt lebende Eltern und vor allem Eve selbst, die zwar selbst erst am Anfang ihrer Schauspielkarriere steht, aber in der Mehrfachrolle der Hobbydetektivin, der Reporterin und Charlottes Hausmädchen mehr will, als sie eigentlich bewältigen kann.
Die (meist unerwiderte) Liebe zwischen Jonathan und Charlotte, Eve und Jonathan und schließlich Wilfred und Eve dient hier als Antrieb für den Plot, der Hitchcock nicht nur die Möglichkeit bietet, sich über den billigen Charakter konventioneller Whodunits lustig zu machen, indem er geschickt mit den Konventionen des Genres spielt, sondern sich ganz bewusst des Theaters als Bühne für sein Spiel der Maskeraden, Täuschungen und Lügen zu bedienen, ehe er im Finale noch das sprichwörtliche Kaninchen aus dem Hut zaubert.
Marlene Dietrich („Eine auswärtige Affäre“, „Zeugin der Anklage“) verkörpert die berechnende Diva ebenso überzeugend wie Jane Wyman („Das Herz einer Mutter“, „Was der Himmel erlaubt“), die zwar stets in deren Schatten steht, aber als unbedarft wirkende Schauspiel-Novizin und Hobby-Detektivin die Perspektive der Geschichte bestimmt, weshalb die Auflösung am Ende auch so gut funktioniert. Auch wenn „Die rote Lola“ nicht zu Hitchcocks bekanntesten und besten Filmen zählt, sorgen die für Hitchcock ungewöhnlich gezeichneten Figuren und das lustvolle Spiel mit Lügen und Täuschungen für ebenso ungewöhnliches Hitchcock-Vergnügen.
"Die rote Lola" in der IMDb

Kommentare

Beliebte Posts