Verdacht

Nach seinem erfolgreichen Hollywood-Einstand mit der Daphne-du-Maurier-Adaption „Rebecca“ (1940), der auch Hauptdarstellerin Joan Fontaine ihre erste Oscar-Nominierung einbrachte, drehte Alfred Hitchcock wenig später auch „Verdacht“ (1941) mit ihr. Die RKO-Produktion wurde nicht nur als bester Film und für die beste Filmmusik (von Franz Waxman) für einen Oscar nominiert, sondern brachte Fontaine auch den einzigen Oscar ihrer Schauspielkarriere ein. Es war außerdem Hitchcocks erster Film mit Cary Grant, mit dem er anschließend noch „Berüchtigt“, „Über den Dächern von Nizza“ und „Der unsichtbare Dritte“ realisieren sollte.
Auf einer Zugfahrt lernt der gutaussehende und charmante Johnny Aysgarth (Cary Grant) die schüchterne wie wohlhabende Lina McLaidlaw (Joan Fontaine) kennen, die ihm mit ein wenig Kleingeld (und einer Briefmarke) für den Aufschlag zu seinem Ticket aushilft. Als Lina ihren Gegenüber auf einem Foto in einer Illustrierten wiedererkennt, vermutet sie, dass er eine gute Partie sein muss, und freut sich, ihn auf einem Jägerball wiederzusehen. Während sich ihre Eltern (Cedrick Hardwicke/Dame May Whitty) schon damit abgefunden haben, dass Lina als alte Jungfer endet, setzt die junge Frau ihrerseits alles daran, Johnny zur Heirat zu bewegen. Allerdings stellt Lina erst nach der Heirat und dem Bezug einer teuren Wohnung mit Dienstmädchen fest, dass Johnny keinen Penny besitzt und sich sogar für die Hochzeitsreise Geld geliehen hat.
Statt einer geregelten Arbeit nachzugehen, hofft Johnny vielmehr auf das Erbe seiner Frau und vertreibt sich die Zeit mit Sportwetten und Pferderennen. Um seine verzweifelte Frau zu beruhigen, nimmt Johnny eine Stelle bei seinem Vetter Captain Melbeck (Leo G. Carroll) an, wird dort aber schon bald wegen Veruntreuung gekündigt. Offenbar treibt sich Johnny seit Wochen wieder auf Pferderennbahnen herum und versucht, an das Geld anderer Leute zu kommen. Als Lina Besuch von der Polizei bekommt und erfährt, dass Johnnys bester Freund Beaky (Nigel Bruce) in Paris ermordet aufgefunden wurde, keimt in Lina nicht nur ein fürchterlicher Verdacht auf, sondern sie fürchtet auch um ihr eigenes Leben …
Nach der romantischen Komödie „Mr. & Mrs. Smith“ (1941) erfüllte Hitchcock mit „Verdacht“ wieder mehr die Erwartungen des Publikums und erzählt einmal mehr die Geschichte eines Liebespaars, das bis zum Happy End erst einige schwierige Hürden überwinden muss. „Verdacht“ handelt vor allem von selbstzerstörerischen Täuschungen. Während Johnny sich in einem Milieu bewegt, das er sich nicht leisten kann und den sorglosen Lebemann mimt, der aber keine Skrupel kennt, auf jede erdenkliche Weise an Geld zu kommen, hält Lina an ihm fest, obwohl sie befürchtet, dass er sie beide in den Abgrund zu ziehen droht. Vor allem Beaky legt ein besonders selbstzerstörerisches Verhalten an den Tag, wenn er sich am Brandy vergnügt, der – wie er weiß – tödliche Folgen für ihn haben kann. Hitchcock führt das Publikum geschickt auf eine falsche Fährte, als er durch den charmant-witzigen Auftritt von Cary Grant als betrügerischer Spieler Johnny den Anschein einer romantischen Komödie erweckt, doch je mehr Lina, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, hinter die Machenschaften ihres Geliebten kommt, umso mehr verändert sich der Ton des Thrillers bis zu der berühmten Szene, in der Johnny ihr ein Glas Milch trinkt, von dem Lina glaubt, das es das nicht nachweisbare Gift enthält, nach dem Johnny die mit Lina befreundete Krimi-Autorin Isobel Sedbusk (Auriol Lee) ausgefragt hat.
Hitchcock lässt Johnny im Dunkeln die Treppe zu Linas Schlafzimmer heraufgehen, wobei das Glas Milch in seinen Händen bedrohlich aufleuchtet. Hitchcock hat für diesen Effekt eine Glühbirne in dem Glas eingesetzt. Die Romanvorlage von Anthony Berkeley hat eigentlich ein dramatischeres Ende vorgesehen, nicht das etwas arg abrupte Happy End, das Hitchcock auf Drängen des Studios inszenieren musste. In dem Roman, den Berkeley unter dem Pseudonym Francis Iles veröffentlichte, trinkt Lina die Milch, obwohl sie sich der tödlichen Zutat bewusst ist, und schickt ihren weinenden Mann hinaus. In seinem Gespräch mit François Truffaut erzählte Hitchcock, wie er sich eigentlich den Schluss des Films vorgestellt hätte. „Ich hatte einen anderen, der ganz verschieden war von dem des Romans. Wenn am Ende des Films Cary Grant Joan Fontaine das Glas vergiftete Milch bringt, hätte sie gerade einen Brief schreiben sollen, und zwar an ihre Mutter: Liebe Mutter, ich liebe ihn wahnsinnig, aber ich will nicht mehr länger leben. Er will mich töten, und da will ich lieber sterben. Aber ich finde, die Gesellschaft muss vor ihm geschützt werden.“ (François Truffaut: „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ Heyne, 1999, S. 131f.)
Auch wenn das Ende des Films enttäuscht, macht es einfach Spaß, nicht nur Cary Grant bei seinen galanten Charme-Offensiven zuzusehen und Joan Fontaine als verunsicherte, mit schlechtem Seh- und Urteilsvermögen geschlagene Generalstochter zu erleben, auch Hitchcocks Meisterschaft, mit bildnerischen Mitteln das Ungesagte zu vermitteln und spritzige Dialoge zu inszenieren, machen „Verdacht“ zu einem sehenswerten Romantik-Thriller.
"Verdacht" in der IMDb

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