Eine Dame verschwindet

Alfred Hitchcock ist bekannt dafür, dass er ein Faible für Modelleisenbahnen hatte, und so verwundert es nicht, dass viele seiner Filme in Zügen ihren Anfang nehmen oder sogar größtenteils darin spielen, wie die 1937 entstandene Verfilmung von Ethel Lina Whites Roman „The Wheel Spins“. Nachdem zunächst der in England arbeitende US-Amerikaner Roy William Neill als Regisseur vorgesehen war, kam es jedoch bei ersten Aufnahmen in Jugoslawien zu einem Zwischenfall, der das Projekt auf Eis legte, bis Alfred Hitchcock das Drehbuch von Frank Launder („Die blaue Lagune“, „Am seidenen Faden“) in die Hand bekam, den Anfang und das Finale straffen ließ und mit „Eine Dame verschwindet“ schließlich einen unterhaltsamen Krimi schuf, der gänzlich im Studio entstanden ist.
Nach einem Lawinenabgang sind die Passagiere, die mit dem Zug von Budapest nach Basel unterwegs sind, Station in einem überfüllten Gasthaus in der fiktiven Diktatur Bandrika machen, so zwei Cricket-Fans (Basil Radford und Naunton Wayne), die Sorge haben, zu dem Cricket-Spiel in ihrer Heimat zu spät zu kommen, und der angehende Richter Mr. Todhunter (Cecil Parker), der mit seiner Geliebten (Linden Travers) unterwegs ist. Für die bereits in dem kleinen Hotel untergebrachten Gäste bereiten die durch die neuen Ankömmlinge entstandenen Turbulenzen einige Ärgernisse. So beschwert sich die kurz vor ihrer Hochzeit mit einem verarmten Adligen stehende Iris Henderson (Margaret Lockwood) über den Lärm, den der Volksliedforscher Gilbert Redman (Michael Redgrave) über ihrem Zimmer veranstaltet, während die Musiklehrerin und Gouvernante Miss Froy (May Whitty) einem Troubadour vor ihrem Fenster lauscht, bis dieser durch einen Würger aus dem Verkehr gezogen wird. Am nächsten Morgen kann die Reise nach Basel jedoch fortgesetzt werden, doch fällt der etwas unglücklichen Verlobten am Bahnhof ein Blumenkasten auf den Kopf. Miss Froy nimmt sich der benommenen jungen Frau auch im Zug an, wo sie im Abteil eine düstere bandrikische Baronin (Mary Clare) und einen italienischen Zauberkünstler (Philip Leaver) kennenlernt, später auch den prominenten Chirurgen Dr. Hartz (Paul Lukas), der Iris Fall als sehr interessant bezeichnet, denn nach dem Erwachen in ihrem Abteil ist Miss Froy nicht nur verschwunden, es will sie auch niemand gesehen haben. Zusammen mit Gilbert Redman versucht sie, im Zug nach Hinweisen auf die alte Dame zu suchen …
Hitchcock lässt sich ungewöhnlich viel Zeit, um Iris und Gilbert als Hauptfiguren in „Eine Dame verschwindet“ zu etablieren. In der Hektik der unerwarteten Ankunft weiterer Gäste treten nämlich erst einmal die beiden Cricket-Fans und das ehebrecherische Paar in den Vordergrund. Erst als sich die große Unruhe gelegt hat, stellt Hitchcock die Verlobte und den temperamentvollen Volksliedkundler vor, die nach problematischem Beginn im Zug zu eine gemeinsame Mission verfolgen und schließlich – natürlich – zu einem Paar werden.
Während das erste Viertel sehr amüsant inszeniert ist, wird erst durch den Schatten zum Würgegriff bereiten Hände, die sich einen Moment später um den Hals des Troubadours legen, angedeutet, dass sich die Stimmung des Films ändert. Mit dem Verschwinden von Miss Froy beginnt eine klassische Detektivgeschichte, die Hitchcock mit viel Dialogwitz, skurrilen Figuren, Tempo und unerwarteten Wendungen vorantreibt. „Eine Dame verschwindet“ zählt fraglos zu den besten Arbeiten Hitchcocks während seiner britischen Phase und besitzt dabei den verschrobenen, cleveren Charme späterer Miss-Marple-Verfilmungen.
"Eine Dame verschwindet" in der IMDb

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