Ich beichte

Seit der katholisch erzogene Alfred Hitchcock Anfang der 1930er Jahre das Theaterstück „Nos deux consciences“ von Paul Anthelmes gesehen hatte, war er von der Geschichte eines Priesters, der sich durch das Beichtgeheimnis gebunden fühlt und sich deshalb nicht von einem Mordverdacht befreien kann, so fasziniert, dass er über Jahre daran gedacht hat, einen Film daraus zu machen. Nachdem die Rechte bei Warner Bros. lagen, die verschiedenen Drehbuchfassungen Hitch aber nicht zusagten, war es seiner Frau Alma zu verdanken, dass er sich nach seinem Erfolg mit „Der Fremde im Zug“ doch noch der Geschichte annahm, sie aber so veränderte, dass sie mit der Originalfassung nicht mehr viel gemein hatte.
Mitten in der Nacht eilt ein Mann in einer Soutane durch die Straßen von Quebec und steuert zielstrebig die Kirche an, was zufällig vom Priester Michael William Logan (Montgomery Clift) beobachtet wird. Auf einer der Sitzbänke trifft Logan auf den völlig aufgelösten Hausmeister der Kirche, den aus Deutschland eingewanderten Otto Keller (O. E. Hasse), der den Priester darum bittet, ihm die Beichte abzunehmen. Im Beichtstuhl gesteht Keller, dass er den Rechtsanwalt Villette (Ovila Légaré) ermordet habe, was aber nicht seine Absicht gewesen sei. Er hätte nur zweitausend Dollar gebraucht, um mit seiner Alma (Dolly Haas), die viel zu sehr schuften würde, ein neues Leben beginnen zu können. Logan nimmt Keller das Versprechen ab, sich der Polizei zu stellen, doch dann überwiegt bei Keller die Furcht vor dem elektrischen Stuhl und er verlässt sich auf das Beichtgeheimnis. Logan hält sich pflichtschuldigst auch daran, obwohl er selbst ins Visier der Ermittlungen von Polizeiinspektor Larrue (Karl Malden) gerät. Larrue hat nämlich am Morgen der Entdeckung des Mordopfers Logan mit einer Frau sprechen gesehen, die sich als unglücklich verheiratete Frau des gutmütigen und angesehenen Pierre Grandfort (Roger Dann) erweist …
Wie zuvor schon in „Erpressung“, „Sabotage“ und „Der Fremde im Zug“ (und auch in späteren wie „Der falsche Mann“ und „Der unsichtbare Dritte“) verfolgt Hitchcock in „Ich beichte“ (1953) das Thema des unschuldig Verdächtigen, wobei das Beichtgeheimnis den Schlüssel zur Schuldverlagerung darstellt. Indem Keller sein Gewissen erleichtert und seine mörderische Tat dem Priester beichtet, fühlt er sich von seiner Schuld befreit, lauert aber nichtsdestotrotz ängstlich darauf, ob sich der pflichtbewusste Logan auch an das Beichtgeheimnis hält. Da Hitchcock früh Täter und Motiv entlarvt, geht es ihm nur noch um die Frage, unter welchem Druck sein Protagonist das ihm anvertraute Geheimnis auch dann noch bewahren kann, wenn er selbst unter Mordverdacht gerät.
Als er Ruth vor dem Haus des Toten trifft, ruft sie erleichtert „Endlich sind wir frei!“ heraus, doch entpuppt sich diese Aussage in jeder Hinsicht als falsch. Während Ruth nämlich noch in der Ehe mit Pierre gefangen ist, den sie nicht liebt, ist Logan durch das ihm anvertraute Geheimnis um das begangene Verbrechen gefesselt. Die Liebe, die Ruth und Logan verbunden hatte, bevor Logan in den Krieg gezogen war, aus dem er verändert zurückgekehrt ist, und die Ruth noch immer für ihn empfindet, wird nicht erwidert, denn Logans Liebe gehört allein Gott, und so würde er sich auch für Keller opfern, da er unter keinen Umständen das Beichtgeheimnis verletzen würde.
In der ursprünglichen Fassung hatte Hitchcock auch dieses tragische Ende vorgesehen, doch war es mit den Moralvorstellungen der 1950er Jahre nicht vereinbar, dass ein Unschuldiger für einen Mord, den er nicht begangen hatte, auf diese Art büßen sollte. Abgesehen von dem Dilemma, in dem sich Logan befindet (das Method Actor Montgomery Clift mit seiner nahezu stoischen Mimik kaum zum Ausdruck brachte), konzentriert sich Hitchcock auch auf das Verhältnis zwischen Logan und Keller und dessen ebenfalls eingeweihten Frau, deren Figur Hitchcock seiner eigenen Frau Anna angelehnt hatte, die ihn ebenso rücksichtslos unterstützte wie Alma ihren verzweifelten Mann.
Mit „Ich beichte“ ist Hitchcock nicht nur ein spannendes Drama um Schuld und Vergebung gelungen, sondern auch ein stilistisches Meisterwerk, das von Robert Burks großartig in kontrastreichen Schwarzweißbildern festgehalten wurde und in einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur und dem Kameramann resultierte.
"Ich beichte" in der IMDb

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