Gelobt sei Gott

Die Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche findet kein Ende. Seit Mitte der 1990er Jahre, als bekannt wurde, dass der nordirische Priester Brendan Smyth mehr als 40 Jahre lang etwa 90 Kinder in Pfarreien in Belfast, Dublin und den USA missbraucht und misshandelt hatte, häufen sich auf aller Welt Nachrichten von jahrzehntelangen Missbrauchsfällen. Tom McCarthy hat 2015 mit dem Oscar-prämierten Drama „Spotlight“ die Ereignisse rekapituliert, bei denen sich in der Erzdiözese Boston 90 Priester an etwa tausend Kindern und Jugendlichen vergangen hatten, die Kirchenführung aber keine juristischen Maßnahmen ergriff, sondern die Priester nur in andere Gemeinden versetzt hatte. Nun hat auch der französische Filmemacher François Ozon („8 Frauen“, „Frantz“) mit „Gelobt sei Gott“ einen ähnlichen Skandal in seiner Heimat thematisiert.
Der katholischer Banker Alexandre Guérin (Melvil Poupaud) lebt mit seiner Frau und den fünf Kindern in Lyon und hat den mehrmaligen Missbrauch durch Pater Bernard Preynat (Bernard Verley) zwischen 1983 und 1986 unter anderem während einer Pfadfinder-Freizeit gut verarbeitet. Als er im Juni 2014 zufällig erfährt, dass Preynat nach wie vor mit Kindern arbeitet, drängt er auf eine Aussprache mit der Diözese, um zu verhindern, dass der Pater weitere Kinder missbraucht. Kardinal Philippe Barbarin (François Marthouret) zeigt sich nach Alexandres Brief verständnisvoll und fädelt ein Treffen zwischen Alexandre und seinem damaligen Peiniger ein. Dabei zeigt sich Preynat zwar einsichtig, weigert sich aber nicht nur, seine Sünden öffentlich zu machen, sondern versäumt es auch, sich bei Alexandre zu entschuldigen. Schließlich sei er als Pädophiler ja selbst ein Opfer seiner unnatürlichen Triebe und deshalb auch schon in Behandlung gewesen. Da weitere Briefe an den Kardinal ohne Wirkung bleiben und Alexandre das Gefühl hat, dass die Missbrauchsfälle von der Kirche vertuscht werden, geht er in die Offensive, erstattet Anzeige bei der Polizei – obwohl die Taten nach zwanzig Jahren verjährt sind - und sucht den Kontakt zu weiteren Opfern. Mit François (Denis Ménochet) und Emmanuel (Swann Arlaud) findet er schließlich zwei Verbündete, die sich ebenfalls dafür einsetzen wollen, Preynat und seine Vorgesetzten juristisch zur Rechenschaft zu ziehen, und gründen den Verein „Das gebrochene Schweigen“. Schon bald finden sie Opfer, die vor Ablauf der Verjährungsfrist von Preynat missbraucht worden sind …
Nachdem François Ozon („Swimming Pool“, „Jung & schön“) vor allem für seine Filme von stark weiblicher Prägung bekannt geworden ist, wollte er eigentlich einen Film über männliche Fragilität drehen, als er auf den Fall Preynat gestoßen ist. Er suchte den Kontakt mit den Machern des Vereins „La Parole Libérée“, las sich in die dokumentierte Korrespondenz zwischen Alexandre und den hohen Amtsträgern der katholischen Kirche und hatte so eine solide Grundlage, auf denen er das biografische Drama entfalten konnte. Dabei sind die Positionen natürlich klar verteilt, so dass sich Ozon keine Gedanken um emotionale Überhöhungen machen musste. Vielmehr stellt er recht nüchtern die Schicksale seiner in ihrer Kindheit missbrauchten Protagonisten in den Vordergrund und beschreibt ihren mühsamen Kampf gegen die mächtige katholische Kirche, die durch die Missbrauchsskandale in ihren Grundfesten erschüttert wurde.
Es ist erstaunlich, wie offen Alexandre auch seinen Kindern gegenüber die Ereignisse aus seiner Kindheit kommuniziert, aber es wird auch schnell klar, dass die Eltern der Opfer die Tatsachen damals zwar erkannt haben, aber nichts dagegen zu unternehmen gedachten. Nun spielen sie die Ereignisse entweder – wie Alexandres Eltern – herunter oder schämen sich nun, dass sie so lange geschwiegen und so dazu beigetragen haben, dass weitere Kinder missbraucht worden sind.
Ozon macht in „Gelobt sei Gott“ deutlich, wie unterschiedlich die Betroffenen mit den traumatischen Ereignissen umgehen, wechselt immer wieder fließend die Erzählperspektive zwischen den mittlerweile erwachsenen Opfern und webt sporadisch Szenen aus ihren Erinnerungen ein, ohne den eigentlichen Missbrauch zu inszenieren. Hier reicht jeweils die Art und Weise, wie sich Preynat in unterschiedlichen Situationen seine Lieblinge herauspickt und mit ihnen abgeschiedene Orte aufsucht, um sich das anschließende Verbrechen vorstellen zu können. Auf der anderen Seite macht Ozon aber auch den nicht minder skandalösen Umgang der Kirche mit den Vorfällen sichtbar, am deutlichsten in der Pressekonferenz, als sich Kardinal Barbarin zu der Aussage hinreißen lässt, dass „Gelobt sei Gott die Taten schon verjährt“ seien. Dadurch, dass Ozon vor allem die Opfer in seinem Film zu Wort kommen lässt, entfaltet „Gelobt sei Gott“ eine authentische Qualität, die durch den ebenfalls gut eingefangenen Umgang der Kirche noch an Eindringlichkeit gewinnt.
Es sind aber weniger die angenehm zurückhaltend agierenden Schauspieler, sondern die unspektakulär und emotional nüchtern inszenierte Chronik der Ereignisse, die letztlich in der Verurteilung Preynats und der Einrichtung offizieller Kanäle endete, über die innerhalb der katholischen Kirche mit derartigen Vorwürfen zukünftig umgegangen wird. Außerdem wurde die Verjährungsfrist um zehn Jahre auf dreißig Jahre verlängert.
Als Bonus-Material sind auf der DVD von Pandora Film u.a. Interviews mit Ozon und Alexandre-Darsteller Melvil Poupaud sowie nicht verwendete Szenen enthalten.
"Gelobt sei Gott" in der IMDb

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