Schindlers Liste

Eigentlich stand der Name Steven Spielberg in den 1980er und 1990er Jahren vor allem für unterhaltsames Popcorn-Kino. Doch nach den Science-Fiction-Märchen „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ (1977) und „E.T. – Der Außerirdische“ (1982) sowie den beiden Abenteuer-Blockbustern „Jäger des verlorenen Schatzes“ (1981) und „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ (1984) bewies Spielberg mit „Die Farbe Lila“ (1985) und „Das Reich der Sonne“ (1987), dass er auch ernsthafte Themen überzeugend umzusetzen weiß. 1993 war für den Filmemacher ein ganz besonderes Jahr, weil er innerhalb kürzester Zeit sowohl den sensationell erfolgreichen Blockbuster „Jurassic Park“ als auch das eindringliche Holocaust-Drama „Schindlers Liste“ in die Kinos brachte. Zwar spielte das Dino-Abenteuer weit mehr in die Studiokassen ein, doch war „Schindlers Liste“ mit zwölf Oscar-Nominierungen und letztlich sieben gewonnenen Academy Awards das wesentlich ambitioniertere und anspruchsvollere Werk, das man so schnell nicht vergisst.
Nachdem die deutsche Wehrmacht zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Polen einmarschiert ist, werden die dort lebenden Juden in Ghettos umgesiedelt. Mit dem bereits am Bahnsteig registrierten Juden, die mit Zügen aus dem ganzen Land in Krakau angekommen sind, erreicht auch der bislang erfolglose Geschäftsmann Oskar Schindler (Liam Neeson) die Stadt. Er hat es auf die stillgelegte Deutsche Emailwarenfabrik (D.E.F.) abgesehen und hofft, mit billigen jüdischen und polnischen Arbeitskräften wichtige Kriegsgüter wie Töpfe, Pfannen und Kochgeschirr für die Wehrmacht zu produzieren. Schindler versteht es, als wohlhabender und großzügiger Geschäftsmann Eindruck auf die SS-Beamten in Krakau zu machen und sie durch imponierende Geschenke und Bestechungsgelder für seine Zwecke einzuspannen. So freundet er sich zunächst mit dem SS- und Polizeichef in Krakau, Julian Scherner (Andrzej Seweryn), an und kommt durch Itzhak Stern (Ben Kingsley), einem Funktionär des lokalen Judenrats, in Kontakt mit jüdischen Investoren. Während sich Schindler bei den Deutschen um Aufträge für seine schnell sehr produktive Fabrik bemüht, leitet Stern die Fabrik als Geschäftsführer und kümmert sich vor allem darum, „kriegswichtige Arbeiter“ aus dem Ghetto zu gewinnen, darunter Kinder, alte Menschen, Akademiker und Künstler, die für die Arbeit in einer Fabrik eigentlich nicht geschaffen sind. Als 1943 die Überlebenden des Krakauer Ghettos in das Arbeitslager Krakau-Plaszów überführt werden, das vom sadistischen SS-Offizier Amon Goeth (Ralph Fiennes) geleitet wird, erlebt Schindler erstmals mit eigenen Augen, wie unmenschlich und grausam die Inhaftierten behandelt werden. Als auch das Arbeitslager vor der Schließung steht und die überlebenden Juden nach Auschwitz transportiert werden sollen, versucht Schindler mit Stern, so viele Juden wie möglich von Goeth freizukaufen und vor der Vergasung zu retten …
Nachdem Steven Spielberg im Alter von 17 Jahren erfahren hatte, dass mehrere Mitglieder seiner jüdisch-ukrainischen Familie in Konzentrationslagern ermordet worden waren, reifte in ihm das Bedürfnis, einen Film über den Holocaust zu drehen, doch erst nachdem Spielberg mit „Die Farbe Lila“ und „Das Reich der Sonne“ (beide für Warner Bros.) bewiesen hatte, dass er nicht nur für kitschige Filmmärchen und Special-Effects-Abenteuer steht, war Universal auch offen für ein so ambitioniertes Projekt wie „Schindlers Liste“, das auf der Schindler-Biographie „Schindler’s Ark“ von Thomas Keneally und dem Drehbuch von Steve Zaillian („Zeit des Erwachens“, „American Gangster“) basiert.
In seinem über dreistündigen Epos präsentiert Spielberg weit mehr als nur die Biografie des deutschmährischen Industriellen Oskar Schindler (1908–1974), sondern vor allem ein Plädoyer für die Menschlichkeit in einer unmenschlichen Umgebung. Die Oscar-prämierten Schwarz-Weiß-Bilder von Janusz Kaminski verbreiten von Beginn an einen ernsthaften, bedrückend-authentischen Ton. Kritiker warfen Spielberg vor, den Holocaust mit seiner melodramatischen Art trivialisiert und Spannung mit den falschen Mitteln erzeugt zu haben, doch Spielberg wollte sicher keinen Dokumentarfilm über das wohl schrecklichste Kapitel der deutschen, vor allem aber der jüdischen Geschichte drehen, den keiner sehen würde. Stattdessen hat er innerhalb der Studiokonventionen in Hollywood ein aufwühlendes Drama kreiert, das er anhand sehr persönlicher Schicksale erzählt. Natürlich steht Oskar Schindler dabei im Mittelpunkt. Liam Neeson („Rob Roy“, „Michael Collins“) verkörpert überzeugend einen Mann, der ohne eigenes Kapital geschickt eine florierende Fabrik in Kriegszeiten aufbaut und zunächst nur an billigen Arbeitskräften interessiert ist, ohne sich für die Schicksale der Menschen zu interessieren. Als sich ein einarmiger Jude persönlich bei Schindler bedanken will, dass er ihm das Leben gerettet habe, fühlt sich Schindler eher beim Mittagessen gestört und unangenehm berührt, als er sieht, dass Stern einen einarmigen Mann eingestellt hat. Doch je mehr er mitbekommt, wie die jüdische Bevölkerung zunächst im Krakauer Ghetto, vor allem aber im Arbeitslager zu leiden hat, unterstützt er Sterns Bemühungen, auch die zu Jungen, die Alten und Kranken vor dem sicheren Tod zu bewahren und in der Fabrik unterzubringen. Auf der anderen Seite steht mit Amon Goeth ein SS-Offizier, der aus purer Lust vom Balkon seiner Villa aus mit dem Gewehr beliebige Juden im Arbeitslager erschießt, aber seiner jüdischen Haushälterin sehr zugetan ist, was er sich aber nicht eingestehen kann.
Immer sind es persönliche Geschichten, die Spielberg erzählt, Namen, die auf Listen registriert werden, Gesichter, die man nicht mehr vergisst. Spielberg verharmlost den Holocaust nicht, vermeidet aber auch allzu verstörende Bilder. Die Exekution einzelner Juden, später die massenhafte Verbrennung der im Arbeitslager verstorbenen Juden reichen aber auch aus, um eine Ahnung von dem unvorstellbar grausamen Vorgehen der SS in Polen zu vermitteln. Wenn am Ende – wie ganz zu Beginn – der Film farbig wird und die Darsteller zusammen mit den tatsächlich Überlebenden in Jerusalem am Grab von Oskar Schindler vorbeiziehen und zum Gedenken Steine hinterlegen, unterstreicht Spielberg noch einmal den authentischen Eindruck seines bewegenden, wunderbar gespielten und überwiegend großartig inszenierten Dramas über ein dunkles Kapitel der Menschheitsgeschichte. John Williams komponierte dazu eine entsprechend zurückhaltende Musik, die zu großen Teilen vom berühmten jüdischen Geiger Itzhak Perlman interpretiert ebenso wie der Film, der Regisseur, das Drehbuch, die Kameraarbeit, der Filmschnitt und das Produktionsdesign mit einem Oscar ausgezeichnet wurde.
"Schindlers Liste" in der IMDb

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