15:17 to Paris
Auf dem Höhepunkt seiner Schauspielkarriere markierte Clint Eastwood gern den wortkargen, aber kompromisslosen Helden, der seine eigenen Vorstellungen von Recht und Ordnung hatte und diese auch auf seine Weise durchsetzte. Als alternder Regisseur faszinieren ihn zunehmend die Helden des Alltags. Nach den biographischen Filmen um einen Scharfschützen („American Sniper“) und einen couragierten Flugzeugkapitän („Sully“) legte Eastwood 2018 mit „15:17 to Paris“ ein Tatsachen-Drama vor, in dessen Mittelpunkt drei amerikanische junge Männer stehen, die während ihrer gemeinsamen Europareise einen terroristischen Anschlag in einem Zug nach Paris verhindern.
An ihrer katholischen Schule in Sacramento fallen die beiden Freunde Spencer Stone (William Jennings) und Alek Skarlatos (Bryce Gheisar) immer wieder negativ auf, so dass ihre alleinerziehenden, vermeintlich überforderten Mütter von der Klassenlehrerin zu hören bekommen, dass sie nicht nur mit dem Lernstoff hinterherhinken, sondern offenbar unter ADS leiden, was sich aber gut durch Medikamente in den Griff bekommen lasse. Doch davon wollen Heidi (Jenna Fischer) und Joyce (Judy Greer) nichts hören. So landen Spencer und Alek mit ihrem aufsässigen Verhalten immer öfter beim Schuldirektor (Thomas Lennon), wo sie auch den neuen schwarzen Schüler Anthony Sadler (Paul-Mikél Williams), mit dem sie sofort anfreunden. Stolz präsentiert Spencer seinem neuen Freund sein Arsenal an Soft-Air-Waffen, worauf sie zu dritt im Wald Schlachten aus des Zweiten Weltkriegs nachspielen.
Zwar zieht erst Anthony weg, dann auch Alek zu seinem Vater, aber die drei Freunde verlieren sich nicht aus den Augen, auch nicht, als Spencer und Alek zum Militär gehen und Anthony zu studieren anfängt. Im Sommer 2015 beschließen sie, zusammen durch Europa zu reisen, von Rom nach Berlin und Amsterdam, von wo sie weiter nach Paris fahren wollen. Als ein Terrorist, der in Brüssel zugestiegen ist, mit einem Gewehr bewaffnet aus der Toilette kommt, bahnt er sich mit Gewalt seinen Weg durch das Abteil, schießt einen Mann nieder, bevor er durch den beherzten Einsatz der drei amerikanischen Freunde außer Gefecht gesetzt wird…
Kritik:
Eastwood kann es sich bei seiner Reputation und Erfahrung leisten, auch mal unkonventionelle Wege zu gehen. So hat er mit „15:17 to Paris“ nicht nur das auf ihren eigenen Erfahrungen basierende Buch von Spencer Stone, Alek Skarlatos und Anthony Sadler verfilmt, sondern die drei jungen Männer sich auch gleich selbst spielen lassen. Dass „15:17 to Paris“ ohne prominente Darsteller auskommt, mag erklären, warum sich der Film beim Publikum nicht durchsetzen konnte. Dazu kommt aber auch die sehr unaufgeregte und weitgehend unspannende Geschichte und Inszenierung.
Wenn der gesichtslose Attentäter zu Beginn den Zug besteigt, verweist Eastwood nur kurz auf die dramatische Zuspitzung des Films, bevor er ebenso kurz die drei erwachsenen Freunde auf einer Spritztour im Cabrio vorstellt, um dann episodenhaft den Beginn ihrer Freundschaft in der Kindheit zu rekapitulieren. Die einzige Szene, die hier von Bedeutung ist, ist Spencers ganz natürliche Präsentation seines Waffenarsenals, mit denen die Jungs auf ihre typisch unbekümmerte Art Krieg spielen. Vielleicht ist es diese natürliche Affinität zu Waffen, die die drei Freunde später so beherzt den Attentäter ausschalten lässt, auf jeden Fall trägt sie sicher dazu bei, dass Spencer und Alek zum Militär gehen wollen.
Auch hier bleibt Eastwood bei einzelnen Episoden der Ausbildung und Spencers Frust darüber, dass er wegen mangelnd ausgeprägter Tiefensichtigkeit nicht bei den Rettungsspringern der Air Force landet, wo er Menschenleben zu retten hoffte, sondern einer für ihn weniger relevanten Gattung.
Dass „15:17 to Paris“ so dahinplätschert und keine Spannungsmomente liefert, gehört fraglos zu den großen Schwachstellen des Films. Eastwood ist aber mutig genug, sich nicht nach Hollywood-Konventionen zu richten, sondern möglichst authentisch die Lebensgeschichte der drei Helden zu erzählen. Dazu gehört auch das skizzenhafte Abhaken touristischer Highlights in Europa und der gemeinsame Besuch einer Kneipe in Berlin und eines Clubs in Amsterdam.
Erst im letzten Viertel kommt etwas Fahrt auf, wenn es darum geht, wie die drei Freunde den Attentäter ausschalten und einen lebensgefährlich verletzten amerikanischen Passagier am Leben erhalten. Am Ende wird den letztlich vier Helden durch den französischen Präsidenten Hollande noch die Ehrenmedaille überreicht und ein Hohelied auf den Mut und die Tapferkeit der Ausgezeichneten gesungen. Die so unprätentiös inszenierte Heldengeschichte füllt sicher keinen Kinoabend, strahlt aber als Heimkino-Event eine sympathische Natürlichkeit aus, die Eastwoods routinierter, wenn auch unspektakulärer Inszenierung ebenso zu verdanken ist wie den drei sich selbst spielenden Hauptdarstellern.
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