Mein Bruder Kain

Brian De Palma hat in den 1980er Jahren mit den Auftragsproduktionen „Scarface“ (1983), „The Untouchables – Die Unbestechlichen“ (1987) und „Die Verdammten des Krieges“ (1989) bewiesen, dass er auch jenseits seiner effektvollen Hitchcock-Hommagen wie „Dressed to Kill“ und „Blow Out“ fesselndes Kino zu inszenieren versteht. Nach der gefloppten Adaption von Tom Wolfes „Fegefeuer der Eitelkeiten“ (1990) kehrte De Palma 1992 mit „Mein Bruder Kain“ wieder zu seinen Wurzeln zurück und schuf seine eigene Variante zu Hitchcocks Meisterwerks „Psycho“

Inhalt: 

Der angesehene Kinderpsychologe Carter Nix (John Lithgow) hat sich seit der Geburt von Amy, der gemeinsamen Tochter mit der Onkologin Jenny Nix (Lolita Davidovich), aus seiner Praxis zurückgezogen, um sich ganz der Erziehung des Kindes zu widmen. Jennys Sorge angesichts der immer offener zu Tage tretenden Obsession ihres Mannes Amy gegenüber ist dabei nicht unbegründet, denn Carter wurde einst Opfer der zunehmend umstrittener Experimente seines nun in Oslo praktizierenden Vaters Dr. Nix sen. Nun will Carter selbst eine Gruppe von fünf Kindern zusammenstellen, damit in der Klinik seines Vaters Entwicklung und konditioniertes Verhalten der Kinder in direktem Vergleich untereinander erforscht werden können. Das letzte noch fehlende Kind entführt Carter einer mit der Familie befreundeten Mutter, die Carter bzw. sein diabolischer Bruder Kain (John Lithgow) umbringt, nachdem sie sich weigerte, ihr Kind für diese Studie zur Verfügung zu stellen. Kain tritt nämlich immer dann auf den Plan, wenn es darum geht, unangenehme und moralisch verwerflich Dinge zu erledigen. Als Carter auch noch dahinter kommt, dass seine Frau wieder etwas mit ihrer Jugendliebe Jack (Steven Bauer) angefangen hat, gerät Carters Welt völlig aus den Fugen. Carter bzw. sein böser Zwillingsbruder Kain erwürgt Jenny und lässt seinen Wagen mit ihrem Körper auf dem Rücksitz in einem Moor verschwinden. Als er von den Cops Lt. Terri (Gregg Henry) und Sgt. Cally (Tom Bower) informiert wird, dass bereits mehrere Entführungsfälle aus dem Park bekannt sind, lässt Carter eine Phantomzeichnung anfertigen, die Jack verblüffend ähnlich sieht. Derweil wird der Wagen mit Jennys Leiche aus dem Moor geborgen. Zusammen mit der bekannten Psychologin Dr. Waldheim (Frances Sternhagen), die einst mit Dr. Nix sen. an dessen Buch „Mein Bruder Kain“ gearbeitet hat, gehen die Cops in die Pathologie, um nicht nur die Leiche zu identifizieren, sondern auch Carter zu hypnotisieren, um seiner möglichen dissoziativen Identitätsstörung auf den Grund zu kommen… 

Kritik: 

Nach dem Mega-Flop mit der Verfilmung von Tom Wolfes Bestseller „Fegefeuer der Eitelkeiten“ fokussierte sich De Palma mit „Mein Bruder Kain“ wieder auf eine eigene Story, die wieder geschickt mit Motiven von De Palmas großem Vorbild Alfred Hitchcock spielt. Das Spiel mit den Identitäten und Persönlichkeitsstörungen hat De Palma bereits ausführlich in Filmen wie „Die Schwestern des Bösen“, „Schwarzer Engel“ und „Dressed to Kill“ thematisiert. Mit „Mein Bruder Kain“ wird die Spaltung der Persönlichkeit allerdings weniger subtil eingeführt. Als Carter der Mutter, die ihr Kind nicht für seine Experimente zur Verfügung stellen will, mit Chloroform betäubt, steht ihm sein düsteres Pendant Kain sogleich in persona zur Seite. Fortan inszeniert  
De Palma eine verwirrende Geschichte, in der John Lithgow abwechselnd in die Rollen des zurückhaltenden Carter, seines dämonischen Bruders Kain, seines Vaters, des Jungen Josh und der Kinderbetreuerin Margo schlüpft und der Regisseur vergnüglich mit Traum, Realität und Täuschung spielt, so dass man als Zuschauer kaum mitkommt, wer nun wirklich tot ist und wer für welche Tat verantwortlich sein soll. Die Story hakt dabei wie so oft bei De Palmas eigenen Drehbüchern an allen Ecken und Enden, doch sorgt zum einen die immense Spielfreude von De-Palma-Entdeckung Lithgow („Schwarzer Engel“, „Blow Out“), zum anderen das inszenatorische Geschick mit Zeitlupenaufnahmen und Plansequenzen für überzeugende Effekte. 
Vergnüglich kopiert De Palma die Versenkung des Wagens in einem Moor aus „Psycho“ – inklusive des zwischenzeitlichen, beunruhigenden Stockens -, nur um dann mit dem Aufschrei der doch nicht toten Jenny der Szene einen eigenen Kick zu verleihen. Großartig ist auch die lange Plansequenz, in der Dr. Waldheim von den wieder einmal wie bei Hitchcock eher inkompetent präsentierten Cops aus den belebten oberen Etagen der City Hall hinunter in den menschenleeren und unterkühlten Keller der Pathologie begleitet wird und dabei die Grundzüge der dissoziativen Identitätsstörung erläutert. Die schwebende Kamera bleibt dabei immer bei Dr. Waldheim, die nach ihrer Krebserkrankung mit Perücke auch nicht mehr der Mensch ist, der sie einmal war. 
Leider wirken die Figuren allesamt sehr fremd in ihrer Umgebung und sind alles andere als geeignet, um mit ihrem Schicksal das Publikum zu berühren. So ist es wieder die formvollendete Inszenierung und die grandiose Kameraarbeit von Stephen H. Burum („Der Rosenkrieg“, „Mission: Impossible“), die „Mein Bruder Kain“ sehenswert machen.  

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