Betrogen

Nicht nur in Sergio Leones „Dollar“-Trilogie, auch später in den ersten beiden Zusammenarbeiten mit Regisseur Don Siegel („Coogans großer Bluff“ und „Ein Fressen für die Geier“) hat sich das Image von Clint Eastwood als meist wortkarger Einzelgänger und Frauenverführer manifestiert, das in ihrem dritten gemeinsam inszenierten Werk „Betrogen“ (1971) bewusst aufgebrochen wurde. Zwar floppte der Film damals an den Kinokassen, aber das erotisch aufgeladene und emotional vielschichtige Drama überzeugt in der Ausgestaltung der ungewöhnlichen Figuren-Konstellation.
Während des Sezessionskrieges wird der Nordstaatensoldat John McBurney (Clint Eastwood) schwer verletzt von der zwölfjährigen Amy (Pamelyn Ferdin) im Wald gefunden und in das nahe gelegene Mädchenpensionat gebracht, wo sich dessen Leiterin Martha Farnsworth (Geraldine Page) nach kurzen Bedenken dazu entschließt, den Verletzten nicht an die Südstaatler auszuliefern, sondern ihn bis zu seiner vollständigen Genesung im Haus zu pflegen. Die Frauen verfallen dem oberflächlichen Charme des bettlägerigen Mannes und sehnen sich nach seiner Liebe. Das beginnt bei seiner kindlichen Retterin, die er als „sein Schutzengel“ bezeichnet, geht über die siebzehnjährige, sexuell frühreife Carol (Jo Ann Harris) und die spröde Lehrerin Edwina (Elizabeth Hartman) bis zur resoluten wie gottesfürchtigen Leiterin, die McBurney als Ersatz für ihren Bruder betrachtet, mit dem sie ein inzestuöses Verhältnis verband.
Obwohl nahezu handlungsunfähig und später an Krücken gebunden, versucht McBurney, jede Frau für ein Liebesverhältnis zu gewinnen, sorgt durch sein gefährliches Spiel aber für gewalttätige Eifersuchtsausbrüche, unter denen er schließlich selbst am meisten zu leiden hat …
Unter den zwischen 1968 und 1979 fünf entstandenen Filmen, die Siegel und Eastwood miteinander verwirklicht haben, darf das nach dem Roman „A Painted Devil“ von Thomas P. Cullinan und dem Drehbuch von Albert Maltz („Ein Fressen für die Geier“, „Der gebrochene Pfeil“) entstandene Kriegs- und Liebes-Drama „Betrogen“ fraglos als das emotionalste betrachtet werden.
Von Beginn an wird Clint Eastwoods Figur als ungewöhnlich passiv eingeführt. Als Schwerverletzter ist er auf die Hilfe der ihn umsorgenden Frauen angewiesen, was er in jeder Hinsicht zu seinem Vorteil auszunutzen versteht. Das wirkt bei der gerade mal zwölfjährigen Amy leider ebenso unglaubwürdig wie später in Eastwoods eigener Regie-Arbeit „Pale Rider – Der namenlose Reiter“, aber davon abgesehen inszeniert Siegel die erotisch aufgeladene Spannung in dem Mädchenpensionat ebenso subtil wie humorvoll und brutal.
Durch die Verortung der Handlung im Sezessionskrieg (1861–65) setzt Siegel geschickt Krieg und Sexualität gleich. Während der Vorspann mit Standbildern aus dem Krieg und entsprechenden Hintergrundgeräuschen die Atmosphäre von Tod und Gewalt vorgibt, entwickeln sich auch die Kämpfe der ganz unterschiedlichen Frauen um die Gunst des über weite Strecken hilflosen Soldaten zu einem Kriegsschauplatz der anderen Art. Das wird durch die Rückblenden, in denen einerseits McBurneys skrupelloses Verhalten im Krieg, andererseits Farnsworth unkeusches Verhältnis mit ihrem Bruder angerissen wird, noch verstärkt. Während in der ersten Hälfte vor allem der Schutz und die Genesung des verletzten Nordstaatensoldaten im Vordergrund steht, hat Eastwoods verlogene Figur auch die Zeit, sich die jeweilige Zuneigung der Mädchen und Frauen zu erschleichen. Aus den einzelnen Romanzen entwickelt sich schließlich ein perfides Eifersuchtsdrama, das in der genial inszenierten Amputationsszene ihren Höhepunkt findet, denn hier macht Siegel deutlich, wie sehr die Frauen, die McBurney ebenso lieben wie verachten, uneins mit ihren eigenen Gefühlen sind. So sehr sie sich einerseits wünschen, dass der Verräter sein Bein verliert und damit gleichermaßen kastriert wird, trauern sie doch ebenso um den damit einhergehenden Verlust für ihre eigene über all die Jahre vernachlässigte Libido. Erst im Finale findet McBurney zu der für Eastwood-Figuren so typischen Entschlossenheit und versöhnt damit die Eastwood-Fans, die mit dem bisherigen Verlauf der Geschichte wahrscheinlich wenig anfangen konnten. Die nächste Siegel/Eastwood-Kollaboration „Dirty Harry“ (1971) entsprach da schon wieder mehr den Erwartungen des Publikums.
"Betrogen" in der IMDb

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